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Übrigens finde ich, dass es Tonys Gespür für Spannungsaufbau ist, das sein Apo-Solo so faszinierend macht. Die Tonfolgen selbst sind zuweilen nicht so knorke oder "wertig", aber der Aufbau des Ganzen ist extrem stark und wirkungsvoll gestaltet. Du hattest ja über diese vordergründig sehr technisch wirkenden Vierertonfolgen geschrieben, wie gut die Peters Einsatz vorbereiten. Das sehe ich auch so - obwohl Tony ja zunächst von Peters Gesang mehr als angepisst war. Aber er brauchte dann wohl nicht lange, um zu erkennen, wie genial die Passage sich aus der Steigerung des Solos ergibt.
An solchen Sachen könnte ich mich stundenlang aufhalten und erfreuen. Denn hier liegt ein absolutes Genesis-Momentum für mich. Ich kenne kaum eine Band, die ein solches Bewusstsein für organische und zwingende Steigerungen, Übergänge, Spannungskurven usw. hat(te).
Diese Beschreibung trifft Tonys Fähigkeiten m.E. am besten. Welche Zeitschrift war es, die Tony als "the most tasteful Keyboardist" beschrieb? Besser und knapper kann man's nicht fassen.
Seine Fingertechnik ist ausgebildet, aber nicht auf hohem Klassik-Konzert- oder Jazz-Niveau. Sein Taktgefühl ist ebenso gut, kommt aber mehr aus dem Bauch, was ihn bei live-Auftritten nicht zum hochpräzisen Stakkato-Virtuoso macht, sondern schon mal eine kleine Unsauberkeit einbring. Aber wie er auch live eine richtig tragende Säule der Auftritte ist, sieht man ja bspw bei den Filmen der Duke-Tour. Da springt er wirklich sehr gekonnt in seinem Keyboard-Käfig umher, immer mit der Musik im Zentrum, nie die eigene Selbstdarstellung (wie ja bei genügend anderen dieser Zeit).
Dafür sind seine Melodien keine Mathematik-Vorlesung sondern ein harmonisches Gesamtgefüge, sehr häufig mit einem außergewöhnlichen Spannungsbogen, in der Idee zunächst losgelöst von einem vorgegebenem rhytmischen Muster, sondern beflügelt vom Flow des improvisierenden Komponierens. Erst wenn sich die Idee festigt, wird auch die Metrik festgelegt (wohl meist von Phil ;-)). Das gilt fürs Frühwerk wie der Apo 9/8 - wo er übrigens nicht nur 8/8 sondern teilweise uach 7/8 drüberspielt - aber z.B. auch bei späten Klassikern wie Fading Lights; und nicht nur bei Solos sondern auch bei Gesamtkompositionen, most notably: One for the Vine. In diesem Bereich kann man ihn m.W. SEHR weit oben im Regal platzieren.
Und ja, Apo ist teilweise wie eine Fingerübung, aber eben eine von Aufbau und Spannung geniale. Es muss nicht immer hochkompliiziert sein. "Freude schöner Götterfunken" ist total banal und dennoch einzigartig zeitlos. Der Aufbau eines emotionalen Spannungsbogens ist m.E. eines der Hauptmerkmale der Genesis-Musik, die wir hier so lieben. Dies allein Tony zuzuschreiben, wäre jedoch auch wiederum zu kurz gesprungen. Wie Phil auf Tonys - oder anderer Mitglieder - Ideen mit seinem Sinn für Arrangements und Groove die Emotionalität von Songs unterstützt bzw. verstärkt ist ebenso ganz großes Kino, eben mehr als die Summe der Einzelteile.
Dass die Apo und FL nicht auf der 2020/22er Tour gespielt wurde, lag laut Drumeo-Interview mit Nic aber nicht daran, dass sie's nicht auf die Reihe bekommen hätten. Da wäre Phil wieder - neben HBTS - zu lange beschäftigungslos rumgesessen; das wollten sie ihm nicht zumuten.
ui, das ist jetzt länger geworden als geplant - so gings wahrscheinlich Tony auch beim einen oder anderen Song.