wowie: Ich sehe, du bist schon sehr tief in den Kaninchenbau vorgedrungen, vielleicht sogar weiter als ich. Ich vermute aber, du bist in einem der vielen Verzweigungen stecken geblieben.
Zur modernen Philosophie: die gibt es ja im Grunde gar nicht, da hast du vollkommen Recht, in der Tat hat sich der Begriff dadurch verwässert, dass er zu speziell geworden ist. Womit "darf" sich die Philospie heute noch beschäftigen, ohne in zahlreiche angrenzende wissenschaftliche Disziplinen vorzustossen? Viele Zweige der modernen Physik werden heutzutage philosophisch betrachtet... dabei war die Philosphie (ein griechisches Wort: Philo = liebe und Sophia = Wahrheit, also die Liebe zur Wahrheit) seit jeher eine weitläufige Disziplin, die alle anderen "Wissenschaften" vereinte.
Ein Existenzialist bin ich übrigens keineswegs.
Dein Einwand: "ob diese Welt nun real ist oder nicht, spielt letztlich keine Rolle, da wir die Probleme auf jeden Fall lösen müssen" ist berechtigt. Lange Zeit habe ich ännlich argumentiert. Denn es wird mir wenig nützen, wenn ich dem Finanzamt erkläre, dass ich diese Welt nicht als real betrachte und daher keine Steuern zahlen werde. Man könnte mir übrigens trickreich entgegenhalten, mein Einkommen sei dann ja ebenso irreal und ich könnte es getrost abgeben (aber derart phantasievolle Finanzbeamte sind "a priori" nicht denkbar). Ich habe auch schon versucht, meinem Bankfilialleiter klarzumachen, dass sich mein Kontostand in imaginären Zahlen ausdrücken, die sich dann in einer Negativspirale zum Nullpunkt hin bewegen. Das fand der lustig, mein Kontostand änderte sich dadurch aber nicht.
Es gibt in Matrix 1 eine Szene, in der Neo mit Trin auf dem Rücksitz sitzt und aus dem Fenster sieht. Er erkennt ein Restaurant wieder, und sagt: "Das kenne ich, da hab ich früher oft gegessen, die machen gute Nudeln. Wenn ich bedenke, dass ich das alles nie wirklich stattgefunden hat...?" Und Trinity antwortet darauf kryptisch: "Weil die Matrix dir nicht sagen kann, wer du bist."
Genau diesen Abschnitt hielt ich stets für den grössten Irrtum, den dieser ansonsten so gut durchgearbeitete Film macht. Denn Thomas Anderson alias Neo hat das alles durchaus erlebt. Es spielt nicht die geringste Rolle, ob sich das Restaurant in einer durch "Täuschung" simulierten Welt befindet, denn er hat in jedem Fall dort gegessen. Selbst wenn die Nahrungsaufnahme dann in Wahrheit durch Schläuche und Kanülen innerhalbe des Pods stattfand, in dem er lag und "träumte".
Ja, nicht einmal "träumen" kann man es nennen, denn er hat ja alles bewusst erlebt.
Ich will eigentlich auf das Gegenteil hinaus, Wowie. Ich versuche hier der künstlichen Realität eine Lanze zu brechen. Ich bin mit grosser Begeisterung Teilnehmer eines grossen MMOG (massive multiplayer online game) und erlebe dort tagtäglich Dinge, die unverständige Zeitgenossen als "nicht real" abtun. Welch ein Unsinn. Wenn ich mit meinen Freunden dort eine Strasse entlanggehe und über Kant und Hegel mit ihnen spreche, dann befindet sich die Strasse sicher nicht in der hiesigen Welt. Sie befindet sich auf meinem Computer, und dem meiner Kameraden, aber wir verwenden Sie alle gleichzeitig. Wir sind zugleich HIER und DORT. Und die Gespräche sind vollkommen real, denn sie finden zwischen realen Menschen statt.
Nichtsdestotrotz zwingt mich das zu einem neuen Realitätsbegriff. Einem Realtitätsbegriff, der mein persönliches Erleben zur Grundlage macht. Das meine ich mit "aussen" und "Innen". Was auch immer ich beobachte, es muss durch den Filter meines Selbst. Und es findet IN mir statt, nirgendwo sonst. Kants Trugschluss bestand eben genau darin, dass er noch felsenfest davon ausgeht, dass "da draussen" etwas unabhängig von mir selbst existiert. Ich will nicht so weit gehen und behaupten, dass dies nicht der Fall ist, aber ich behaupte auch keineswegs, DASS es so ist. Ich lasse es vorläufig offen und erweitere meinen Realitätsbegriff.
@Detlef Jäschke: schön, dass hier wieder einer zum thema kommt!
Und interessant, dass du den Film "fight club" erwähnst, der übrigens auch sehr viel mit Matrix zu tun hat. In Fight Club versucht David Fincher einen "Nullpunkt" zu erzwingen, der einen "Reload" ermöglicht. In Matrix findet der Reload durch das Einnehmen der roten Pille statt. Beide Filme sind auf ähnliche Weise subversiv.
Desgleichen TLldoB - ein höchst verwirrender Monomythos, der den Abschied vom Ich propagiert.
Natürlich nur eine Koninzidenz - ich denke nicht im entferntesten daran, dass die Gebrüder W oder Mr. Fincher dieses Album hörten und daraufhin ihre Filme entwarfen. Ich halte aber die Geisteshaltung, die in diesem Album zum Vorschein kommt, für bemerkenswert, zumal in diesem frühen Jahrzehnt. Ich glaube, dass damals etwas einen Anfang genommen hat und PG+Genesis waren irgendwie involviert.