Beiträge von Helligkeit

    Danke Christian. :)

    Dann kann ich ja wenigstens hier posten, was ich grad geschrieben habe, als ich das Album das erste Mal durchgehört habe... :)


    RECOVERY CANNOT FAIL


    Dies wird bestimmt kein Verriss, aber die kitschige Akkustik-Gitarre im ersten Track widert mich etwas an, es klingt ein wenig nach Ibiza-Strandlounge.

    Panopticom ist aber eigentlich ein klassicher Gabriel, düstere Rockmusik mit kryptischen Lyrics und einem Humanismus, der mich persönlich sehr inspiriert - wenn auch nicht durch dieses Lied. Das tolle an Peter ist, er ist wirklich ein Menschenfreund, er steht auf der progressiven Seite und schreibt nach wie vor tolle Songs und was er tut, wird immer relevant bleiben.

    The Court ist mein Favorit auf dem Album und einer seiner besten Stücke überhaupt, auch Live mit dem Video von Tim Shaw sehr stimmig. Schade, dass sich das Album nicht mehr in diese Richtung bewegt.

    Mein Hauptkritik an dem Album ist, dass es arg überproduziert ist und sich an manchen Stellen arg an den Hörgewohnheiten von Pixar-Kinofilmen orientiert. Peter ist ein friedlicher, vielleicht auch Gras rauchender Hippie, der sich zu den Weisheiten von Buddah und Jesus und Timothy Lears durchprobiert. Warum kriegt er mit Alejandro Jodorowsky nicht den Film basierend auf das Lamm-Album zusammen? Wäre doch eine schöne Gelegenheit, die alte Gang nochmal zusammenzubekommen und den Soundtrack zu machen. Everybody's playing for time. Na gut, man kann emotional von der Musik berührt sein, auch wenn man die Hollywood-Ästhetik zu kitschig findet. Es ist natürlich künstlerisch viel interessanter, ein so buntes, perfekt produziertes Album zu machen, mit seinen vielen rührenden Momenten, als subversiv nach neuen Ausdrucksformen suchen und Lieder zu schaffen, die auf keinem anderen Album passen würden. Ich hörte, er wollte mal eine Tour nur mit Klavier und Bass machen, das wäre doch was! "Versuch es doch alles mal ein bisschen kleiner", würde ich ihm sagen. Gerade angesichts der Tatsache, dass wir als westliche Industriestaaten generell mit allem Konsum und Energieverbrauch herunterfahren müssten, um den Warnungen aus Klimaberichten Rechnung zu tragen.

    Die gigantische Bühne, mit für die Meisten unbezahlbaren Instrumente und technischen Geräte, Telepromter und so weiter ist vielleicht etwas, das der Musik und dem Musizieren nützt, macht die ganze Veranstaltung aber zu einer Technikschlacht, die mich tatsächlich auch abschreckt, auf Konzerte zu gehen, unabhängig vom Künstler.

    Der Titeltrack ist ein sehr einfaches, naives Lied, das musikalisch völlig belanglos ist. Es ist definitiv ein stimmungsvoller Höhepunkt, aber derer gibt es viele, zu viele auf dem Album. Etwas zu verkünstelt wirkt mir der Versuch, immer eine positive Wendung in die Lieder zu bekommen, als wäre Musik nur dazu da, die Massen zu erheben oder zu beruhigen.

    Four Kinds of Horses ist ein zweiter Favorit von mir, es berührt mich wirklich, was für Empathie er aufbringt selbst für Terroristen. Er ist ein echter Humanist und macht nicht nur plakative Musik, sondern kann auch subtiler und geheimnisvoller sein. Das schätzen wir doch am meisten an ihm: dass er so viele Facetten hat und manchmal auch echt merkwürdig ist, aber insgesamt ein toller Performer ist.

    Oh weh, Road to Joy ... es klingt, als wäre der Frosch vom Turm gefallen, der die Menschen gefressen hat...

    Das Lied ist viel zu nah an dem, was er mit Kiss the Frog geschafft hat: einen würdigen Nachfolger für Sledgehammer zu bauen. Das Lied hat gewiss einen coolen Groove und interessante Lyrics, aber es groovt sich irgendwie an mir vorbei. Vielleicht hätte man einen etwas reduzierteren Gospel daraus machen können. Warum muss es denn immer so rocken? Will sich hier die Rockmusik in Person von Peter Gabriel beweisen?

    So much ist eine sentimentale Ballade, sehr ausladend. Tropft auch ein bisschen in mein Herz, es klingt wie das letzte, was mein Großvater mir vor seinem Tod sagte. Es ist wie Vieles auf dem Album musikalisch nicht interessant genug. Aber es gibt sicher wichtigeres.

    Olive Tree ist ein seltsam fröhliches Lied, das auch auf "But Seriously" oder dem Tarzansoundtrack von Bruder Phil sein könnte. Nun bin ich nicht so böse und verlange von Künstlern, immer düstere, experimentelle Sachen zu schaffen und es ist natürlich total begrüßenswert, dass Gabriel Kraft und Lebensfreude hat, solche Musik zu machen, aber wenn meine Lieblingsmusiker versuchen (wenn auch erfolgreich), das Poppublikum zu erreichen, dann gruselt mich etwas. Ich lebe seit Jahrzehnten mit der Devise: vermeide alles, was nach Chartradio klingt. Damit komme ich immer ganz gut durch den Tag. Und man muss natürlich sagen, dass sich Gabriel eher noch am Chartradio der 80er und 90er orientiert als am aktuellen.

    Love Can Heal ist ein weiterer Höhepunkt für mich. Simpel und komplex zugleich, schafft es eine geheimnisvolle Atomsphäre, bis der Refrain die ultimative Klarheit bringt, die die Popmusik seit Jahrzehnten und Religionen seit Jahrhunderten predigen. Zumindest bei Peter kann man sich sicher sein, dass der Prediger nicht korrupt ist.

    This is Home steht in der Tradition von In Your Eyes. Es ist mir etwas zu behaglich, fast zu konservativ. Sicherlich drückt es ganz authentisch das Bedürfnis alter Leute aus, sich behaglich einzurichten und sich mit der Familie so überaus zu identifizieren. Mich erinnert das Lied daran, was für ein Nestbeschmutzer ich bin und dass die Trennung von meinen Eltern etwas Ungewöhnliches ist, das man nicht durch lupenreine, herzliche Popmusik ausdrücken könnte. Politisch interessanter fände ich Lieder, die den Generationskonflikt befördern, statt ihn zu besänftigen.

    Die Hommage an seine Mutter mit "And Still" ist musikalisch Interessanter als vieles auf dem Album, es ist definitiv ein ästhetischer Höhepunkt. Die Nähe, die zur eigenen Mutter besteht, erscheint hier als etwas Positives, als etwas Prägendes, Beschützendes, während ich die Nähe zu meinen Eltern als etwas Bedrohliches empfinde. So spüre ich eine Dunkelheit und Gefahr im Mittelteil, die vielleicht gar nicht da ist.

    Es hätte mich arg gewundert, wenn das Album nicht erbaulich endet. Peter ist ein toller Hippie, versteht mich nicht falsch. Sein erbaulicher Humanismus ist unverzichtbar heute wie seit jeher.


    Ich freu mich schon auf das nächste Album. Er hat ja schon What Lies Ahead und Show Yourself in der Pipeline.

    Vielleicht haut er auch 2024 zum Vollmond neue Musik auf den Markt. Er hat sicher noch einiges zu geben... Bestenfalls hat er mal wieder Lust auf ein paar Waghalsigkeiten. Oder er ist einfach weiterhin der liebe Großvater, der er seit so vielen Jahren schon ist.

    Wenn die Platte nicht so big produziert wäre, als wäre sie eine Sammlung von Anime-Soundtracks, würde ich sie bestimmt häufiger mal durchlaufen lassen. So bleibt mir nur, mir die Rosinen zu picken und mir vorzustellen, wie zB The Court oder Four Kinds Of Horses klingen würden, hätte er sie 1981 aufgenommen.