Unsere Achtziger: Eine Würdigung des besten Musikjahrzehnts aller Zeiten

  • Brian Eno wurde drei Tage später geboren. Ein klein wenig Multitalent war also wohl noch da.


    Danke für deine Recherche!:)
    Und dann dieses Ergebnis.;)
    Eno, der "anti-musician", wie er sich gerne selbst nennt.
    Würde die relative Ebbe im Talentpool m.E. bestätigen.:rolleyes:

    But we never leave the past behind, we just accumulate...

    "Von jedem Tag will ich was haben

    Was ich nicht vergesse

    Ein Lachen, ein Sieg, eine Träne

    Ein Schlag in die Fresse"

  • Heute wieder mit Bassist im Anhang...


    Kapitel 29 Covern macht bundlos glücklich

    ODER

    Paul Young


    Ich weiß nicht, ob die Vereinten Nationen schon einen Gedenktag für Studiomusiker ausgerufen haben. Ich glaube es eher nicht. Deshalb mache ich das nun selbst und erkläre den heutigen Sonntag zu dem Tag, an dem wir einmal an alle fleißigen und versierten musikalischen Helfer denken mögen, ohne deren Beiträge die Popmusik des letzten Jahrhunderts undenkbar ist. Denn es ist doch so: Ohne Tony Levin, Daryl Stuermer und Vinnie Colaiuta (und nur ein paar zu nennen), wäre die Musik von Peter Gabriel, Phil Collins und Sting nicht so herausragend, wie sie ist. Umgekehrt profitieren viele langjährige Mitmusiker dann wiederum vom Ruhm des Stars, dem sie zuarbeiten. Insgesamt also eine Verbindung, von der beide Seiten profitieren.


    Kommen wir zu Paul Young, dem stimmgewaltigen Engländer und Teenieschwarm der Achtziger. Auch dessen Beiträge zur Popgeschichte gewinnen erst durch die Beteiligung eines bestimmten Instrumentalisten die nötige Klasse und Prägnanz, um sich vom populären Einheitsbrei abzuheben. Ich kann das sogar noch zuspitzen: Die allerersten Töne eines Young-Songs, die ich damals höre, stammen nicht von Young selbst, sondern von seinem Bassisten Pino Palladino. Es handelt sich dabei um das fulminante Intro zu Pauls erstem Hit WHEREVER I LAY MY HAT (THAT'S MY HOME) (1983). Palladino ist ein As am Bass, insbesondere an seiner bundlosen Variante. Und die Art und Weise, wie er auf dem Fretlessbass Melodiebögen gestaltet, hebt diesen Song, der ja „nur“ eine Coverversion ist, auf ein anderes Level.


    Gleiches gilt für Youngs nächsten Megaseller COME BACK AND STAY (1983). Auch hier stiehlt der Bassmann mit seinen groovigen Licks allen anderen Musikern die Schau. Insgesamt ist Palladinos Bassspiel neben Youngs charakteristischer Stimme das auffälligste Merkmal des Solokünstlers Paul Young in seiner Frühphase. Möglicherweise ist Young bewusst, dass er diesen Mehrwert für seine Songs gut gebrauchen kann, denn als Songwriter setzt er anfangs so gut wie gar keine Akzente. Sechs seiner sieben ersten Hitsingles sind Coverversionen, darunter auch die Dauerbrenner LOVE OF THE COMMON PEOPLE (1983), LOVE WILL TEAR US APART (1984) und EVERYTIME YOU GO AWAY (1985).


    Nach den zwei sehr erfolgreichen Alben NO PARLEZ (1983) und THE SECRET OF ASSOCIATION (1985) – beide teilweise überfrachtet mit den typischen „Klangsünden“ der 80er – darf Young dann auf dem dritten Album BETWEEN TWO FIRES (1986) fast alle Songs zusammen mit seiner Band schreiben. Auch Palladino bekommt ein paar Credits. Es wird Youngs bestes Album, weil es nicht nur gutes Songmaterial hat, sondern auch großartig produziert ist. Hugh Padgham sei Dank! Wie viele andere Künstler vor ihm bezahlt der Sänger allerdings die Abkehr vom teeniekompatiblen Sound mit nachlassendem Erfolg.


    Dennoch scheint die Plattenfirma von ihrem Schützling nach wie vor überzeugt zu sein, denn für die Aufnahmen zu Album Nr. 4 verfährt man nach dem Prinzip „Nicht Kleckern, sondern Klotzen“. Neben dem mittlerweile schon recht prominenten Pino Palladino geben sich Studiocracks erster Güte und Solokünstler die Klinke in die Hand. Zu hören sind auf OTHER VOICES (1990) dann u.a. Manu Katche, David Gilmour, Dominic Miller, Steve Winwood, Chaka Kahn, Vinnie Colaiuta, Nile Rodgers und Stevie Wonder. Ebenfalls ein gerade mit Blick auf die Performance der Musiker unterhaltsames Werk.


    Mein Weg mit der Musik von Paul endet mit THE CROSSING (1993). Neue Studiomusiker kommen (u.a. Greg Phillinganes, Luis Conte, Billy Preston und Jeff Porcaro), einer (Pino) bleibt mit dabei. Was Young anschließend macht, verfolge ich nicht länger. Künstlerisch und kommerziell scheint er sein Pulver verschossen zu haben. Sein Bassist hingegen legt noch einmal einen ordentlichen Karrieresprung hin. Von 2002 bis 2016 ersetzt Palladino einen gewissen John Entwistle in einer nicht unbedeutenden britischen Rockband. So schafft er es vom Sidekick eines Teeniestars in den Olymp der Rock-Legenden. Bravissimo!


    Definitives Lineup

    Paul Young – vocals

    Pino Palladino – bass guitar


    Gegenwart

    Young macht immer noch Musik, sowohl solo, als auch mit der von ihm 1993 gegründeten Band Los Pacaminos.


    Weiterhören und Ansehen

    Wherever I lay my hat

    https://www.youtube.com/watch?v=ju_a2-Pve4g

    I'm gonna tear your playhouse down

    https://www.youtube.com/watch?v=EiJWXjz1uks

    Wonderland

    https://www.youtube.com/watch?v=jBn-MkwnYEI

    Stop on by (im Studio mit Pino, Manu u.a.)

    https://www.youtube.com/watch?v=l2aZKXK3HQA&spfreload=10


    Bonus: Palladino über die Entstehung der berühmten Basslinie

    https://www.youtube.com/watch?v=TRjiMN2qJHI


    Lieblingsalbum

    Between two fires


    Demnächst

    In Kapitel 30 von „Meine Achtziger“ gehen wir dahin, wo die Misthaufen qualmen.

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    Einmal editiert, zuletzt von mutzelkönig ()

  • Kleine Kritik : Ich finde, du konzentrierst dich viel zu sehr auf die Musiker, was Paul Young angeht. Von seinen "Megasellern" sind mir nur 2 Dinge in Erinnerung geblieben, und das war rein überhaupt nicht das Bassspiel :


    - Sein Gesang
    - der Hintergrund-Gesang


    Ich empfand den Hintergrundgesang der Damen (die du vermutlich nicht genannt hast, denn ich kann in deiner Liste keinerlei weibliche Namen ntdecken) als sehr kreativ und erstaunlich. Ich hatte Background-Sängerinnen bis dahin nicht so singen gehört. Sie machten in meiner subjektiven Wahrnehmung quasi die zweite Stimme aus. Mir ist es ehrlich gesagt völlig unbegreiflich, wie man solchen Background-Gesang derartig totschweigen kann.


    Wie schon gesagt, ich empfand diese Art von Background-Gesang in seinen "Mega-Sellern" als unglaublich kreativ und exterimentell - ich war zugegebenermaßen damals allerdings Teenager.


    Ich verstehe generell nicht ganz, wie man Hintergrund-Gesang generell im Musik-Business so herunterspielen kann, denn, wie Phil Collins bei "Easy Lover" zeigt, spielt gerade dieser Gesang eine besondere Rolle, und kann sehr stark das Musikstück beeinflussen - wie speziell die Beach Boys gezeigt haben, oder wie es mit "A-Capella-Gesang" ja auch zeigbar ist, daß Gesang unterschiedliche Stimmungen transportieren kann ("Only You" von den "Flying Pickets" oder auch die "Rainbow Magic" des Chris Rainbow, der für den Hintergrundgesang beim Alan Parsons Project mit verantwortlich war, oder einfach auch nur das Vorhandensein von Gregorianbischem Gesang als Solchem, der ja auch Stimmungen transportieren kann).


    Paul Young ist mir wie schon gesagt nur durch diese 2 Elemente in Erinnerung geblieben : Sein Gesang und der Background-Gesang. Beide ergänzten sich wunderbar harmonisch, und in meiner Wahrnehmung so sehr, daß man den ganzen Rest vergessen konnte (wenn man wollte).

    "There are crawlers under my lambswool feet..."
    (Quelle)

  • Ich teile deine Auffassung, dass sowohl Youngs Stimme, als auch die Parts der beiden Backgroundsängerinnen in vielen seiner Songs sehr gelungen sind.
    Der "Aufhänger" für meinen Text ist aber ein anderer, und deshalb konzentriere ich mich auf einen anderen Aspekt seiner Musik. Das ist natürlich subjektiv und in meinem Fall sicher auch der Tatsache geschuldet, dass ich selbst Bass spiele.
    Andererseits: Palladino ist in Youngs Band die größte musikalische Konstante. Und heute ist er in Musikerkreisen möglicherweise sogar bekannter als Young selbst.

    But we never leave the past behind, we just accumulate...

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  • Da ich am Wochenende unterwegs bin, gibt es den nächsten musikalischen Gang schon heute.


    Kapitel 30 Wo die Misthaufen qualmen...

    ODER

    Rainbirds


    Menschen, die in Foren schreiben, verwenden zusätzlich zu ihrem Benutzernamen häufig mehr oder weniger geistreiche Signaturen, um sich maximal lebensphilosophisch zu positionieren. Oder vielleicht nur, weil alle anderen auch Signaturen haben. Egal.

    Für meine eigene Signatur habe ich mich einer Textzeile aus Joe Jacksons Song HOMETOWN bedient („But we never leave the past behind, we just accumulate“), weil ich den dahinter stehenden Gedanken für so einfach wie wahr halte. Sprich: Wir alle haben unsere Wurzeln, und auch wenn uns hoffentlich im Laufe unseres Lebens viele neue Flügel wachsen, können wir unsere Wurzeln nicht verleugnen.


    Wie sehen nun meine eigenen Wurzeln aus? Nun, als gebürtiger Sauerländer lernt man schnell, dass man wirtschaftlich, politisch und vor allem auch künstlerisch eher in einem Entwicklungsland lebt, in dem Schützenfeste (ich nenne sie immer gerne „Mützenfeste“) feuchtfröhlich als größte kulturelle Errungenschaft gefeiert werden. Und dann sind da natürlich die Natur und der Wald, wirklich tolle Fluchtpunkte, die den Vorteil haben, dass sie einem nicht auf den Sack gehen. Ansonsten passiert im Sauerland nicht viel, und das was passiert, folgt oft den Gesetzen von Tradition und Redundanz.

    Wenn es dann unverhofft Aufmerksamkeit regnet (im Sauerland regnet es übrigens sehr gerne), wie im Falle der von irgend einem Politiker so getauften „Sauerland-Gruppe“, einer islamistischen Terrorzelle, dann fällt es nicht schwer, auf diese Aufmerksamkeit zu verzichten.


    Umso schöner sind die positiven Ausnahmen, denn diese sind so rar gesät, dass sie sich lebenslang in die Erinnerungen einbrennen. Wir schreiben das Frühjahr 1988, und ich versuche mich gerade als Nachwuchsbassist in diversen Bands. Plötzlich dudelt im Radio einer dieser unwiderstehlichen Ohrwürmer, ein Song namens BLUEPRINT von einer neuen Band mit dem Namen Rainbirds. Das Teil klingt frisch und hebt sich auch angenehm vom Sound vieler anderer deutscher Bands ab. Prominentestes Bandmitglied ist damals für uns nicht Katharina Franck, die Songschreiberin und Sängerin mit der tollen Stimme. Auch nicht Gitarrist Rodrigo Gonzales, welcher noch weit von seinem „Medizinstudium“ entfernt ist. Und auch nicht der als „Münchener Jazzdrummer“ beworbene Wolfgang Glum, der sein Handwerk hörbar beherrscht. Nein, es ist Bassist Michael Beckmann. Warum? Weil er aus Heggen kommt, einem 2700-Seelen-Kaff in der Gemeinde Finnentrop im Kreis Olpe. Heggen – nicht zu verwechseln mit dem unweit entfernt liegenden Meggen (einem Ortsteil von Lennestadt) – klingt für mich nach Heimat, und Beckmann wird durch seine Sauerländer Wurzeln für mich zu einem Bruder im Geiste. Noch dazu spielt er auch Bass. Passt!


    Um ehrlich zu sein: Niemand von uns Sauerländern erwartet damals, zukünftig in der Aufarbeitung der Rockhistorie in einem Atemzug mit Liverpool oder London genannt zu werden. Wir alle ahnen, dass diese wunderbare Geschichte eher dem Prinzip vom blinden Huhn folgt. Nichtsdestotrotz finden wir es cool, dass jemand aus unserer Nachbarschaft Mitglied einer Band ist, die sich nun anschickt, abzuheben.

    Das Debutalbum RAINBIRDS (1987) ist eine geschickt um die Erfolgssingle gestrickte Songsammlung und kommt in Deutschland bis auf Platz 2. Die CD liegt irgendwo auf dem Dachboden meiner Eltern, und ich habe keine Lust, sie zu suchen, weil es da dieses zweite, viel viel bessere Album gibt.


    CALL ME EASY SAY I'M STRONG LOVE ME MY WAY IT AIN'T WRONG (1989) zeigt zwei Jahre später eine deutlich facettenreichere und zu Experimenten aufgelegte Band. Produziert wird das Werk von Udo Arndt und Ex-Spliffer Reinhold Heil, welcher auch die Tasten bedient und gleich im Opener LOVE WAS ALREADY THERE TO BE FOUND ein unglaubliches Hammond-Solo hinlegt. Die erste Single SEA OF TIME kratzt in der Albumversion an der 10-Minuten-Marke. Neben eingängigen Rocksongs wie NOT EXACTLY und MOON wird auf LOVE IS A BETTER WORD (WHITE CITY OF LIGHTS) mit Barjazz geflirtet, während BETTER THAN BEFORE als Chanson daherkommt. Die klangliche Beschränkung auf verschiedene Gitarren, Bässe, Schlagwerk und analoge Keyboards (neben der Orgel noch Klavier und Akkordeon) lassen die Songs unglaublich warm und kongruent wirken. Das zweite Album der Rainbirds ist und bleibt für mich eine der besten deutschen Musikproduktionen, welche sich gekonnt irgendwo zwischen Mainstream, Indierock und Kunst platziert. Unterstützt wird die hochwertige Produktion durch Anton Corbijn, der Fotos zum Booklet und ein Musikvideo beisteuern darf.


    Als sich nach diesem Album Katharina Franck von ihren Jungs (und damit auch „meinem“ Beckmann) trennt, weil es unterschiedliche Auffassungen über die weitere musikalische Ausrichtung der Band gibt, ist leider alles perdu. Die Band verliert erst ihren Biss, dann ihren Erfolg, und das Sauerland verliert seine Rockhoffnung. Michael Beckmann, den ich übrigens nie persönlich treffe, fasst trotz Bandverlust Fuß im Musikgeschäft und ist jetzt Filmkomponist (u.a. für Fack ju Göhte). Und Frau Franck, die Sängerin der Regenvögel, feiert heute ihren 54. Geburtstag. Dafür Herzlichen Glückwunsch, toi toi toi (und „Alles Gute“ von Reinhold Heil...)


    Definitives Lineup

    Katharina Franck – Gesang und Gitarre

    Michael Beckmann – Bass

    Wolfgang Glum – Schlagzeug

    Rodrigo Gonzalez – Gitarre


    Gegenwart

    Katharina Franck macht weiter unter dem Namen „Rainbirds“ Musik. Mit der Band von damals hat das aber nichts mehr zu tun.


    Weiterhören und Ansehen

    Blueprint

    https://www.youtube.com/watch?v=xF_bba06ntw

    Sea of Time

    https://www.youtube.com/watch?v=K962TBTnlmQ

    Not exactly

    https://www.youtube.com/watch?v=G8rABZ6hpwg

    Love is a better word (White city of light)

    https://www.youtube.com/watch?v=HPsIWhuUGcI


    Lieblingsalbum

    Call me easy, Say I'm strong, Love me my way, It ain't wrong


    Demnächst

    In Kapitel 31 von „Meine Achtziger“ geht es um einen Englishman in New York.

    But we never leave the past behind, we just accumulate...

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    Was ich nicht vergesse

    Ein Lachen, ein Sieg, eine Träne

    Ein Schlag in die Fresse"

    2 Mal editiert, zuletzt von mutzelkönig ()

  • Edit - kann gelöscht werden...

    But we never leave the past behind, we just accumulate...

    "Von jedem Tag will ich was haben

    Was ich nicht vergesse

    Ein Lachen, ein Sieg, eine Träne

    Ein Schlag in die Fresse"

  • Da ich im Urlaub war, gibt es erst heute einen musikalischen Nachschlag.
    Bitte sehr!



    Kapitel 31 Englishman in New York

    ODER

    Billy Idol


    Heute möchte ich euch an einem kleinen Selbstversuch teilhaben lassen. Die Ausgangsfrage lautet: Wie abhängig bin ich vom Internet? Ich sitze nämlich gerade im Rahmen meines Familienurlaubs am Strand in Nieblum. In dieser Zeit des jährlichen Auftankens bin ich grundsätzlich offline. Volle zwei Wochen lang.

    Das funktioniert erstaunlich gut und dank mehrerer dicker Schmöker, ausgiebiger Radtouren und der sehr schmackhaften regionalen Küche quasi ohne Entzugserscheinungen. Aber da gibt es in diesem Jahr diese wöchentliche Rubrik, die ich mit Inhalt füllen möchte. Und auch wenn ich meine Beiträge über die verschiedenen Künstler gerne mit persönlichen Zugängen versehe, so ist doch das Internet ein unverzichtbares Medium für die Recherche und eine verlässliche Quelle für das Abgleichen von Zahlen und Daten. Geht das überhaupt ohne?

    Nun, ich werde das gleich jetzt ausprobieren. Der „Leidtragende“ dabei wird Billy Idol sein, über den ich alles ausgraben werde, was in den Tiefen meines Hirns verschüttet liegt. Also nur das, an was ich mich alleine erinnere. Ohne technische Hilfe.

    Gleich beim Alter wird es schwierig. Wie alt mag er sein? Ich schätze ihn auf irgend etwas über 60. Nehmen wir mal 1955 als Geburtsjahr.

    Kommen wir zur Überschrift. Ich weiß, dass Idol Engländer ist, der aber nach seinem Umzug in die USA zum Star wird. Woher ich das weiß? Hatte in der Mayerschen mal seine Autobiografie in der Hand und darin ein bisschen quer gelesen. Natürlich kenne ich die Titel seiner größten Hits: REBELL YELL, WHITE WEDDING, EYES WITHOUT A FACE, FLESH FOR FANTASY und SWEET SIXTEEN. Die einzige von mir in meiner Jugend käuflich erworbene Idol-Single ist CATCH MY FALL, weshalb ich mich auch daran erinnere.

    Die Titel der Alben von Billy – da wird’s schwierig. Mir fällt da in der Tat nur WHIPLASH SMILE ein. Warum? Weil meine Schwester die CD hatte. Ich weiß auch noch ziemlich genau, dass dieses Album bei mir mehr oder weniger durchgefallen ist, weil der Produzent Keith Forsey dort flächendeckend Drumcomputer eingesetzt hat. Da wird mir wieder einmal bewusst, wie selektiv (und bekloppt) doch manche Infos sind, die unser Gehirn für bedeutsam erachtet und lebenslang abspeichert. Und wie paradox manches Urteil von damals ist. Denn EYES WITHOUT A FACE hat ebenso hörbar einen Drumcomputer, wurde aber von mir nie mit einem Bannstrahl bedacht. Schon seltsam.

    Auch hinsichtlich einer genauen zeitlichen Einordnung macht mein Hirncomputer keine gute Figur. Wann genau erschien EYES...? 1982 oder 1983 würde ich sagen. Oder doch erst 1984?

    Und welches war Idols größter Hit? Ich tippe auf EYES... Aber halt, da ist doch auch noch MONY, MONY. War der nicht sogar Nummer Eins? Könnte sein, ja. Aber ist das nicht ein Stück, das Idol lediglich gecovert hat? Ich glaube, das ist so. Nur von wem stammt der Song im Original? Keine Ahnung, Fehlanzeige.

    Ich muss gestehen, wie mich die zunehmende Fülle an Nicht- und Halbwissen beschämt. Noch schlimmer sind da nur offensichtliche Fehlurteile. Da gibt es doch tatsächlich immer noch vage eine Assoziation von Idol mit dem Genre Punk. Wer hat denn diesen Unsinn damals verbreitet? Peter Illmann? Ingolf Lück? Oder die Plattenfirma höchstselbst? Sind es die viel zu blonden und hochgegelten Haare? Oder die in manchen seiner Videos in die Höhe gereckte Faust? Idols Musik hat mit Punkrock so gut wie nichts gemeinsam. Das ist more or less Achtziger Mainstream Poprock, zugegeben ein guter.

    Hoppla, da wird eine weitere Datei von meiner Hirnfestplatte geladen. Sie heißt „Steve Stevens“. Wo Idol ist, darf Stevens natürlich nicht fehlen. Stevens ist, wenn ich nicht daneben liege, Ko-Autor vieler Idol-Songs. Und ein geiler, technisch versierter Gitarrist – also so ziemlich das Gegenteil von Punkrock.

    Kommen wir zum Ende. Ein paar letzte unstrukturierte Gedankenfragmente:

    • der knackige Slapbasspart in FLESH FOR FANTASY
    • das Video zu TO BE A LOVER hat irgend etwas mit Boxen zu tun
    • Stevens spielt Gitarre auf Michael Jacksons DIRTY DIANA

    Fazit: Die nicht computergestützte Recherche ist nicht perfekt, hat aber ihren eigenen Charme. Beschönigend könnte man sagen: Sie konzentriert sich das Wesentliche und geht mit Zahlen relativ großzügig um. Wesentlich ist nämlich die Musik als solches, und die von Billy kann ich auch heute noch größtenteils genießen.


    Und das schreibt mir Mister Netz auf die Korrekturfahne: Treffer beim Geburtsjahr, yeah! REBEL YELL schreibt sich nur mit einem L (zumindest der REBEL). WHITE WEDDING bekommt im Songtitel den Zusatz Pt. 1, aber warum das so ist, weiß ich immer noch nicht. EYES WITHOUT A FACE erschien 1983 (aber da ich mich hier nicht auf ein konkretes Jahr festlegte, darf ich diese Übereinstimmung wohl nicht als Punktsieg werten). MONY, MONY ist ursprünglich ein Hit von Tommy James and the Shondells aus dem Jahre 1968. Es ist – rein von den Chartplatzierungen her – auch Idols größter Hit. Und selbst CRADLE OF LOVE, welches ich völlig verdrängt hatte, war zumindest in Amerika noch besser platziert als EYES WITHOUT A FACE. Billys Verbindung zum Punkrock kommt übrigens von seiner ersten Band Generation X, und da muss ich jetzt mal Markus Kavka zitieren: Wieder was gelernt!


    Definitives Lineup

    Billy Idol – vocals and guitar

    Steve Stevens – lead guitar


    Gegenwart

    Billy Idol macht immer noch Musik, und Steve Stevens spielt nach wie vor in seiner Band.


    Weiterhören und Ansehen

    Flesh for fantasy

    https://www.youtube.com/watch?v=dw1oM7LBbxE

    Eyes without a face

    https://www.youtube.com/watch?v=9OFpfTd0EIs

    White Wedding (Pt. 1)

    https://www.youtube.com/watch?v=AAZQaYKZMTI

    Sweet Sixteen

    https://www.youtube.com/watch?v=ClxXDfvtoj0


    Lieblingsalbum

    Rebel Yell


    Demnächst

    In Kapitel 32 von „Meine Achtziger“ beschäftige ich mich mit Leslie, der nah am Wasser gebaut ist.

    But we never leave the past behind, we just accumulate...

    "Von jedem Tag will ich was haben

    Was ich nicht vergesse

    Ein Lachen, ein Sieg, eine Träne

    Ein Schlag in die Fresse"

    Einmal editiert, zuletzt von mutzelkönig ()

  • Heute geht's über einen großen Teich...


    Kapitel 32 Leslie ist nah am Wasser gebaut

    ODER

    Billy Ocean


    Menschen wie du und ich müssen es in den meisten Fällen ein ganzes Leben mit ihrem Namen aushalten. Musiker haben es da leichter. Sie benennen sich einfach von heute auf morgen um. Und während ihr künstliches Etikett oft ewige Berühmtheit erlangt, erinnert an den eigentlichen Geburtsnamen meistens nur die Biografie oder ein Eintrag bei wikipedia.

    Darüber, wie Künstler zu ihrem Künstlernamen gelangen, lassen sich ein paar nette Anekdoten erzählen.

    Reginald Kenneth Dwight etwa gelangt zu Elton John, indem er diesen aus den Namen seiner damaligen musikalischen Helden, dem Saxophonisten Elton Dean und dem Sänger John Baldry, in dessen Begleitband er damals spielt, zusammen setzt.

    William Michael Albert Broad wird in der Schule von seinen Lehrern häufig als träge (englisch „idle“) bezeichnet. Zusammen mit einer Koseform seines Vornamens entsteht auf diese Weise der gar nicht mehr so träge Billy Idol.

    Gordon Matthew Thomas Sumner tritt als junger Nachwuchsmusiker einmal in einem gelb-schwarz-gestreiften Pullover auf, was einen Kumpel an eine Wespe erinnert. Und da Wespen eine ziemlich blöde und schmerzhafte Angewohnheit haben, mit der die meisten von uns sicher schon Bekanntschaft gemacht haben, ist der Weg zu Sting dann nicht mehr weit.

    Marvin Lee Aday ist wohl schon als kleines Kind leicht übergewichtig, weshalb ihm sein Vater den Spitznamen „Meat“ gibt. Spätere Hänseleien durch Mitschüler sollen dann zu dem Markennamen führen, unter dem eine Weltkarriere stattfindet: Meat Loaf!

    Schon einzigartig, wie hier jemand den Spott seiner Umwelt zu seinem Vorteil zu nutzen weiß.

    Manche Umbenennungen sind auch nicht so lustigen Ursprungs, wie beispielsweise bei Mathias Halfpape, der in jungen Jahren unter schwierigen familiären Bedingungen und starken Depressionen leidet und durch das Ablegen seines bürgerlichen Namens („halb Mensch, halb Pape“) seine als verkorkst empfundene Existenz abstreifen will. Heute heißt der Mann Heinz Strunk.

    Kommen wir aber nach diesem Vorgeplänkel zum heutigen Protagonisten. Leslie Sebastian Charles wird im Jahre 1950 in Trinidad und Tobago geboren. Im Alter von 10 Jahren zieht die Familie nach England. Da sein Vater Musiker ist, gerät der Sohnemann schon früh mit Musik in Kontakt und beschließt, Sänger zu werden. Nach ersten Erfahrungen in einer Band veröffentlicht er 1976 sein Solodebut. Auch Leslie vollzieht diesen Schritt nicht unter seinem bürgerlichen Namen. Er nennt sich Billy Ocean – nach dem Wohnviertel Ocean Estate im Osten Londons, in dem er zu dieser Zeit wohnt.

    Es dauert einige Jahre, bis seine Karriere in Schwung kommt. Dann aber explodiert sie förmlich.

    Im Jahre 1984 wird CARRIBEAN QUEEN, ein klanglich geschicktes Recycling von Michael Jacksons BILLY JEAN, zu einem weltweiten Hit. Dabei hat ein kreativer Kopf aus der Marketingabteilung der Plattenfirma eine gewagte Idee: Denselben Song je nach Region unter verschiedenen Namen mit leicht abgeändertem Text veröffentlichen, so dass sich auf deutschen Plattentellern dann eben die Single EUROPEAN QUEEN dreht. Ob dieses Manöver die Musikfans eher begeistert oder verwirrt, lässt sich im Nachhinein schlecht klären. Ich denke, der Song ist so catchy, dass er auch unter ein und demselben Titel überall ein Hit geworden wäre.

    Die Nachfolgesingle LOVERBOY (1984) setzt stärker auf die rockige Schiene und präsentiert ein Musikvideo, welches vom Cast her stark an Filme wie Star Wars erinnert. Da sieht man dann Roboter, Echsenmenschen, skurrile Aliens und andere komisch verkleidete und missgebildete Geschöpfe in einer Art Nachtclub. Immer wieder sehenswert.

    Ein Jahr später darf Ocean dann höchstpersönlich einen Beitrag zu einem Soundtrack abliefern. WHEN THE GOING GETS TOUGH, THE TOUGH GET GOING (1985) stammt aus dem Film AUF DER JAGD NACH DEM JUWEL VOM NIL. Auch dieser Song wird ein Chartstürmer, und im Musikvideo spielen Kathleen Turner, Danny DeVito und Michael Douglas, die Hauptdarsteller des Streifens, einen bemerkenswerten Backgroundchor.

    Mit THERE'LL BE SAD SONGS (TO MAKE YOU CRY) (1986) füllt er kurz darauf auch das Genre Popballade mit Erfolg.

    Oceans letzter Hit GET OUTTA MY DREAMS, GET INTO MY CAR (1988) hat für mich persönlich einen hohen Nervfaktor. Und das gilt unabhängig von der Frage, wer eigentlich derart lange Songtitel als sprachlich gelungen erachtet. INTO MY CAR hätte es auch getan, denn darum geht es doch: Das auserwählte Mädel endlich in die eigene Karre zu bekommen. Was dort anschließend passiert, überlässt man großzügig der Fantasie des Hörers. Das Ausformulieren dieser Handlungen hätte die Toleranzgrenze der meisten Radiosender wohl überfordert.

    Zugegeben, die Musik von Billy Ocean ist auch für einen Achtziger-Fan wie mich alles in allem verzichtbar. Ich besitze tatsächlich keinen einzigen Tonträger von ihm. Und doch haben sich im Laufe der Jahre gewisse Melodiebögen und visuelle Eindrücke hartnäckig festgesetzt, die immer mal wieder nach oben drängen. Irgendwie gehört er halt dazu, der Leslie Sebastian Charles.


    Definitives Lineup

    Billy Ocean – vocals


    Gegenwart

    Obwohl er mittlerweile 67 Jahre alt ist, denkt Billy noch nicht ans Aufhören.


    Weiterhören und Ansehen

    Carribean Queen

    https://www.youtube.com/watch?v=9f16Fw_K45s

    Loverboy

    https://www.youtube.com/watch?v=CmhjXEkI5Lg

    When the going gets tough, the tough get goin

    https://www.youtube.com/watch?v=lIxUKbV0UEM


    Lieblingsalbum

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    Demnächst

    In Kapitel 33 von „Meine Achtziger“ geht es um Rudolf Steiners Vorzeigeschüler

    But we never leave the past behind, we just accumulate...

    "Von jedem Tag will ich was haben

    Was ich nicht vergesse

    Ein Lachen, ein Sieg, eine Träne

    Ein Schlag in die Fresse"

    Einmal editiert, zuletzt von mutzelkönig ()

  • Zu Billy Idol fällt mir ein, daß er neulich mal getourt hat, seine Biographie vorgestellt hat, aus der er am Ende des Konzertes auch vorgelesen hat - was in Köln ? - laut Zeitungsbericht - nicht besonders lustig war, da laute Gesprächsfetzen von Leuten an der Bar ? nebenan ständig die Geräuschkulisse anhoben ... MIr hätte das sehr gestunken, ständig unterbrochen zu werden bzw. gegen Gesprächslärm ankämpfen zu müssen ...

    "There are crawlers under my lambswool feet..."
    (Quelle)