Hallo Freunde und Mitstreiter für eine bessere Welt. Da ich gerade lediglich einen mörderischen Kater auskurieren muss, sonst aber nichts weiter zu tun habe dachte ich mir, ich gebe mal ganz ohne dazu aufgefordert worden zu sein einen Kommentar zu einem Album ab. Und da sich gerade eine Menge Wolken am Himmel tummeln, mein Kopf sich anfühlt als hätte ich einen Bus weggenickt und die letzten Alkoholvergiftungen allesamt angenehmer waren, habe ich mich für Both sides von Onkel Phil entschieden.
Wir erinnern uns. Phil hatte (zum damaligen Zeitpunkt) mit Genesis und auch solo in den letzten zehn Jahren einen Erfolg nach den anderen gefeiert. Seit seinem Solodebut „Face Value“ konnte der Mann machen was er wollte, es gab immer wieder gierige Hausfrauen, die sogar ein gesungenes Telefonbuch gekauft hätten, solang es nur Phil war, der da sang. Seine Rhythmen und Melodien passten einfach hervorragend zum summen und surren der Vibratoren und seine lyrische Eindimensionalität machten es auch nicht gerade schwierig, die Musik „nebenher“ laufen zu lassen. Natürlich gibt es auch Personen die sich Phil wegen seiner eingängigen Melodien und seinen tiefschürfender Sozialkritik anhören. *zwinker zwonker*
Doch selbst Phil wurde dies auf Dauer zu langweilig, also entschloss er sich 1993 dazu, sein neues Album besonders persönlich zu gestalten. Nicht dass die Texte auf einmal weniger Platituden enthielten, immerhin sind textuelle Nichtigkeiten ein Kern von Phils musikalischen Schaffen, aber unser aller Lieblingstausendsassa wollte alle Instrumente selbst spielen. Schrieb ich spielen? Ja, ich schrieb spielen. Denn dies waren auch Phils Worte, welche er der Presse damals vor die Füße polterte. Phil als virtuoser Gitarrist? Wer weiß. Hören wir mal rein...
Both sides of the story
Da saß ich also nun vor meinem iTunes und startete das Titelstück. Und war sofort nüchtern. Der Kater war verflogen. Doch das machte es nicht unbedingt besser. Meine Fresse, was ist das? Wenn das selbst gespielte Gitarren sind, dann bin ich katholischer Bischof. Einfallslos, gepaart mit einem Drumpattern das diesen Namen eigentlich gar nicht verdient (da konnte man von Collins weiß Gott mehr erwarten als dieses lieblose Gedresche) und wahrscheinlich ebenso aus der Retorte kommt wie dieser Gitarrenersatz. Und dann der Text. Engel und Boten Gottes, das Collins bei eben jenen gerne den widerlichen, bis zur Ekelgrenze nervenden Gutmenschen heraushängen ließ, das war und ist ja jedem spätestens seit Long, long way to go bekannt. Aber dieser Schleimbatzen des Verständnisses ist nüchtern kaum zu ertragen. Zum Glück ist heute Samstag und die Flasche Bacardi Oakheart steht nicht weit weg im Kühlschrank.
Can’t turn back the years
Manche Leute werden früher alt als andere. Und umso älter man wird, umso weicher wird man wohl. Schade, dass es bei mir in der Birne angefangen hat. Nur so kann ich mir erklären, dass mir dieses Stück tatsächlich gefällt. Bzw. dass es mir gefallen würde, hätte Phil es ordentlich aufgenommen. Ein schönes Lied um sich dem Selbstmitleid des unglücklich Verliebten hinzugeben, welches leider von Collins’ katastrophaler Aufnahmemethode ziemlich ruiniert wurde. Dass selbst das Schlagzeug komplett aus der Dose kommt ist erschreckend und lädt zum weghören ein. Aber auch die „Leadgitarre“ klingt wie die Midireproduktion einer Billigsoundkarte aus dem Wühltisch. Meine Güte Phil, so persönlich erscheinen die Texte nun wirklich nicht, als das man sie nicht von richtigen Musikern hätte einspielen lassen können. Schade um ein prinzipiell schönes Stück.
Everyday
Ich gebe zu, dieses Stück ärgert mich. Nein, nicht wie ihr jetzt vielleicht denkt, dass es mich nervt, anwidert oder dergleichen. Nein, es ärgert mich ganz bewusst, zeigt mir den Finger und spannt mir die Weiber aus. Na ja, fast. Ordentlich (und mit richtigen Instrumenten) produziert und aufgenommen wäre es ein nettes kleines Liebeslied, aber so ist es ähnlich wie bei CTBTY. Erschwerend für Everyday kommt jedoch hinzu, dass das Stück direkt nach Can’t turn back the years kommt. Da beide ein ähnliches Thema haben (welch Überraschung beim Soldier of Schmalz Phil Collins) setzt sich hier der Nervfaktor noch etwas stärker in Szene als bei vorgenannten Stück. So hat es Everyday denn auch etwas schwieriger in meiner Gunst. Es gibt auch Leute die es mit „Do you remember“ vergleichen. In diesem Vergleich kommt Everyday bei mir dann aber doch etwas besser weg. Mir gefällt die Gesangslinie einfach besser und auch wenn Schlagzeug und Gitarre klingen wie frisch aus dem Abort gefischt, so macht Everyday auf mich den doch etwas (wirklich nur etwas) authentischeren Eindruck.
I´ve forgotten everything
Dieses Stück vermittelt mir spontan eine weitere Weisheit bezüglich des Alters. Manchmal ist es sinnvoll zu schweigen, wenn man nichts Positives sagen kann. Nun, bis ich mich danach richten sollte, habe ich noch einige Jahre Zeit. Was aber Phil sich bei dieser Nullnummer gedacht hat, das weiß er inzwischen wahrscheinlich selbst nicht mehr. Es torkelt wie ein Schlafwandler von Note zu Note, komatisiert den Hörer und die Instrumentensamples sind von gewohnt schlechter Qualität. Och Phil, da hätteste doch sicher bessere Lückenfüller gefunden, oder? Das Geräusch vögelnder oder ertrinkender Katzen, Fußballgesänge oder was es auch sonst noch so an widerlichen Geräuschen geben mag. Oh, etwas Positives fällt mir dann doch noch ein! Es hört nach nur 5:15 Minuten wieder auf.
We`re Sons of our fathers
Endlich mal wieder ein etwas flotteres Stück. Das ich mich selbst sternhagelvoll nicht zu solch einem Text getraut hätte, sei's drum. Dass das „Schlagzeug“ genauso langweilig daherplätschert wie bei „Both sides,“ drauf geschissen. Besondere Beachtung verdienen auch die „Geigen“ und vor allem natürlich die „Tuba“. Für mich ist dieses Stück schon immer ein Witznummer gewesen, eine Art musikalischer Humor, so nach dem Motto: „Ich weiß, wie scheiße das Album klingt, das muss so sein!“ Das Who dunnit der Both sides, wenn man so möchte. Ach ja, erwähnte ich schon den Bass? Trash vom Feinsten. Von Collins Gequäke (bei diesem Stück wirklich extrem) gar nicht zu sprechen. Das muss so gewollt sein.
Can’t find my way
Wieder eines der schöneren Stück auf diesem Album. Natürlich hat Phil alles unternommen um es mit seiner Synthiebatterie totzuschießen, dennoch blitzt hier und dort ein gewisser Funke auf. Mit einer (richtigen!) Akustikgitarre (Vorzugsweise Nylon) und realen Perkussionsinstrumenten sicherlich auch ein Stück für mein Ohr (oder extremster Schmalz, da bin ich noch unschlüssig), aber wie bei so vielen Stücken auf diesem Album hat Phil hier einem gesunden Baby die Extremitäten abgesäbelt und durch Midiprothesen ersetzt. Schade eigentlich.
Survivors
Das Stück, welches mit dem frankensteinigen Instrumentarium am besten zu recht kommt. Es stört nicht weiter, sieht man vom Bass ab. Wirklich, ich kenne Midinummern die auf einer Billigsoundkarte besser klingen als dieser „Bass.“ Zum Text mag ich eigentlich gar nichts schreiben, ist wie vieles von Collins beliebig und austauschbar. Und natürlich darf Phils Lieblingsphrase „When all is said and done“ nicht fehlen. Hatte mich schon gefragt, wann sie wohl fallen würde. Eine Liebesschmonzette mehr... Naja, wers braucht.
We fly so close
Wir alle haben ja unsere Leiche im Keller. Ein getragenes Stück Unterwäsche, welches unsere Begierde weckt. Ein dreckiger Lumpen für den wir uns einerseits unsagbar schämen, welcher uns aber gleichermaßen unsagbar fasziniert und aufgeilt. Bei mir heißt dieser Lumpen „We fly so close.“ Das Stück hat eine ganz eigene Stimmung, die mir sehr viel mehr gibt als der gesamte Rest des Albums. Natürlich hat Onkel Phil alles Mögliche unternommen um das Stück in den collinsischen Einheitsbrei zu verwandeln, dennoch hat er (in dieser Hinsicht) bei We fly so close doch etwas geschlampt. Das ändert natürlich nichts an dem peinlichen Intro (besonders die Windgeräusche eignen sich für den einen oder anderen Lachflash) und auch ein echter Gitarrist hätte hier Wunder bewirkt, aber dennoch ist es eines der wenigen Collinsstücke, die eine gewisse Eigenständigkeit besitzen. Was das angeht, steht das Stück bei mir in einer Reihe mit In the air tonight, Roof is leaking und I don’t care anymore.
There’s a place for us
Früher war es mal total in, den Lehrern „Tritt mich“ Zettel auf den Rücken zu kleben. Allein für solch eine Gelegenheit muss Phil auch diesen Langweiler geschrieben haben. Nun, mein „Skip mich“ Aufkleber wartet schon. Für dieses Album gewohnt schlechte Keyboardsamples von Gitarre und anderen Instrumenten. Da auch der Rest von einer typisch Collinsischen Langeweile und Profillosigkeit ist, erspar ich mir und euch weitere Worte.
We wait and we wonder
Ich warte nun schon seit 19 Jahren. Und ja, ich frage mich. Ich frage mich ernsthaft. Ein ähnlicher Gutmenschenschiss wie das Titelstück, nur noch erbärmlicher. Die Dudelsackkaskaden (ich behaupte einfach mal, dass es ein Dudelsack wäre) die da aus den Boxen quellen um mein Ohr zu vergewa... missbrau... zu drangsalieren sind kaum zu ertragen, die ganze Rumtata-atmosphäre sowieso nicht. Immerhin hat das Stück den Terror in Nordirland gestoppt. Phil Collins, unser musikalisches Einmannamargeddon hat der IRA ordentlich ins Gewissen gesungen und die haben (mehr oder weniger) sofort die Waffen gestreckt, bevor sie dieses Gesülz noch mal ertragen müssen.
Please come out tonight
Erinnert mich irgendwie immer an Why can’t it wait til morning. Wie nahezu alle Schlussstücke auf einem Collinsalbum eher harmlos. Nunja, eigentlich sind alle Collinsstücke eher harmlos, aber seine letzten Stücke auf Alben sind dann immer noch eine Spur langwei... friedlicher als der Rest. Von Take me home vielleicht mal abgesehen. Musikalisch hat sich hier nicht viel geändert. Noch immer nerven Instrumente aus der Dose.
Fazit
Ach Phil, was hat dich damals eigentlich geritten? Bzw. wer? Ein Album das besonders bei den Melodien vieles viel richtiger machte als die letzten beiden Alben, dann so wunderprächtig durch Bon Tempi Synthiesounds zu verhunzen, dass ist eigentlich fast schon wieder Kunst. Aber eben nur fast.
Für mich ist Both sides das beste Akustikalbum, welches Phil nie aufnahm. Schade eigentlich, denn bei vielen Stücken denke ich mir immer, das kann so nicht Phils Ernst gewesen sein. Rein akustisch wären Can’t turn back the years, We fly so close, Can’t find my way und na von mir aus auch noch Everyday richtig schöne Stücke. Es zwingt sich geradezu auf. War da niemand der mal gegen gehört hat? Hatte Phil schon damals mit seinem Ohr zu kämpfen oder hatte ihn irgendein selbstzerstörerischer Trieb dazu gezwungen die Stücke in dieser Grützform aufzunehmen? Eine Art musikalischer Sadomasochismus? Ich weiß es nicht, aber immerhin ist ein eher fader Samstagnachmittag vorübergegangen und ich kann mich nun dem genussvollen Tanzschuppenbesuch zuwenden.