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Es ist eine ziemliche Herausforderung, die Gabriel im Juli bietet. Auf keinen Fall eine Tanznummer, aber auch kein herzergreifender Schmusesong. Es ist ein Lied über die Fragilität der Welt, über die Irrtümer, die man begehen kann - und über die Grenzen der Möglichkeiten. Es ist einerseits ein persönliches Lied, das Gabriels Gefallen an "so vielen" Dingen thematisiert, für die aber auch nur "so viel" Lebensmenge zu Verfügung steht. Andererseits kann der Text auch gesamtgesellschaftlich gelesen werden.
Gabriel hat ihn wohl 2015 oder 2016 schon geschrieben - und viel davon in einem Schwung.
Musikalisch steht das Stück ganz merkwürdig irgendwo zwischen englischer Kneipenballade und Kirchenlied.
Es wird geklagt - oder eher mit Kummer festgestellt. In eigentlich klaren Worten, aber doch mit poetischen Bildern, die Platz für Gedankengänge lassen.
Es heißt da, dass viel unabgeschlossene Arbeit den Kurs setzt im Leben. Dass vieles angefangen wird. Ziemlich sinister dann: "As the longing drops away, the compass is reset (Wenn die Sehnsucht verloren geht, wird der Kompass umgestellt)".
Der Refrain sagt knapp, dass es "so viel" gibt, was man anstreben kann, dass aber auch nur "so viel" geht.
Denn: Die Zeit verstreicht, wenn man heranwächst; nicht alles wird beherrscht, Entscheidungen werden falsch getroffen.
Im zweiten Refrain heißt es jetzt, dass so viel bleibt, für das man geben möchte, allerdings auch, dass diese Ausgabe - es ist wohl unser Leben gemeint - limitiert ist. ("This edition is limited" - ein Slogan, von dem es bei der Tour ein T-Shirt gab - ob alle Doppelbödigkeiten verstanden wurden?)
Zum Schluss hin wird beschrieben, dass der Körper altert, wie jung wir innen auch scheinen mögen. Da sind Grenzen. Hier kommt es zu zwei Reminiszenzen anderer Lieder aus dem i/o-Reigen: Zum einen wird noch einmal aufgegriffen, dass Zeit vorbei zieht (wie auch in Playing For Time) und in der letzten Strophenzeile heißt es "All the warmth inside of you comes from those you love (All die Wärme in dir kommt von denen, die die du liebst)", was eine Verbindung zu Love Can Heal schafft.
Gabriel meint übrigens noch: "Limits können auch anspornen"...
Zur Struktur: Es sind drei Doppelstrophen, gefolgt von jeweils einem knappen Refrain. Keine Ãœberleitungen oder Zwischenteile.
Alle Lyrics des Albums stehen auf Peter Gabriels Webseite hier.
Der Künstler der Monats Juli ist Henry Hudson, der 1982 in Bath geboren wurde. Sein Bild trägt den Titel Somewhere over Mercia. Hudson hat eine ganze Serie dieser "Horizontlinien" erstellt und begann sie, als er aus einem Flugzeug heraus auf die Erde herabschaute. Für ihn waren da Lichter und Farben.
Es sind Landschaftsbilder aus großer Entfernung und ihre Titel beziehen sich immer auf einen bestimmten Landstrich der Welt. "Mercia" ist dabei eine altertümliche Bezeichnung einer Region in Mittelengland, in der sowohl Hudson als auch Gabriel geboren wurden.
"Die Beziehung zwischen dem Lied und meinen Horizonten ist ziemlich ergreifend", sagt Hudson. "Es geht um Orte, die näher oder weiter weg scheinen können."
Gabriel ergänzt, dass der Horizont den Beginn der Unendlichkeit anzeigt - und zugleich ein Limit.
Mehr zu den Album-Kunstwerken und den Künstlern dahinter hier.
Schon vorab war auf Bandcamp angekündigt worden, dass der Juli-Track zuerst im Dark-Side Mix erscheint. Das ließ vermuten, dass das dahinterliegende Stück auch eher getragen - oder eben dunkel sein würde.
Wie sich herausstellt, ist es das auch - wobei die Musik eher einfach ist, die Melodien schlicht sind. Gabriel sagt, er wollte sie leicht erfassbar haben, aber doch mit Charakter.
Zu Beginn ist da nur Klavierbegleitung - für eine kurze Einleitung und über die erste Strophe hinweg. Im Verlauf und mit Fortschreiten des Gesangs werden sehr fein zusätzliche Klänge unterlegt - fast nicht wahrnehmbare Einstreuungen des Orchesters.
Gabriel singt mit sehr pur gehaltener Stimme, die unbehandelt und unverstellt klingt. Sie steht nah vorne, wirkt leicht brüchig.
Zum Refrain erst kommt deutlichere Begleitung hinzu: Liegende Orchesterlinien, langgezogene Gesangstöne und eine Orgel, die fast sakral wirkt.
Dieser Ablauf wird das Lied über beibehalten, ändert sich nur in Nuancen. Nach dem ersten Refrain wird zum schlichten Klavier zurückgekehrt, es sind jetzt aber auch sanfte Keyboardklänge untergelegt, das Orchester wird etwas deutlicher gesetzt, im nächsten Refrain sogar noch weiter angehoben. Aber es kommt nie zu einer wirklichen Steigerung oder Verdichtung.
Erst im letzten Refrain wechselt die Instrumentierung deutlich: Plötzlich fällt das bisher dominante Klavier weg, alles andere auch, übrig bleibt ein Bläsersatz mit pastoraler Wirkung. Für den Schlussteil setzt dann wieder das volle Begleitensemble ein, bis für die letzte Zeilen zum Klavier solo zurückgekehrt wird.
Die musikalische Wirkung ist so einfach gehalten, dass man sich das Lied durchaus tiefnachts in einem englischen Pub dargeboten vorstellen kann, mit Schwermut und viel Alkohol vorgetragen - oder aber sonntags im Gottesdienst gesungen...
Wie schon einige Male auf i/o hören wir also auch hier das Orchester. Diesmal wieder mit mehr Klangfarben - nicht nur die Streicher.
Ansonsten ist die Besetzung eher unauffällig - und abseits vom Orchester auch klein. Manu Katché fehlt, denn Schlagzeug gibt es bei So Much keins, besondere elektronische Zusätze auch nicht. Rhodes und Levin sind aber dabei.
Außerdem singt wieder Melanie Gabriel mit - doch auch hier macht sich das kaum bemerkbar.
Gemäß der Erfahrung, dass Tchad Blakes Arbeit herausstellen und betonen will, sollte die So Much Fassung von Spike Stent wieder zusammenbringen und verbinden. Das Arrangement vom Dark-Side Mix ist aber schlicht und reduziert und da wäre kaum etwas, das noch weiter zu einer Einheit gefügt werden könnte. Bedeutet das, im Bright-Side Mix werden bislang unbekannte Begleitdetails hörbar?
Tatsächlich sind ein paar kleinere Elemente dazugekommen. Vor allem aber ist erneut die Gesamtgewichtung geändert, dass der Bright-Side Mix wieder angefüllter wirkt.
Das wird gleich ab Beginn deutlich, denn dem Klavier unterliegt jetzt ganz sacht noch ein Cello. Außerdem ist eine Gitarre eingefügt und ebenfalls gleich ab Beginn der Bass. Trotz Bescheidenheit: In der Erscheinung hat das sofort mehr Volumen.
Gabriels Gesang steht dabei nach wie vor sehr weit vorne. Da er sehr trocken gehalten ist (erstaunlich: sowas bei Spike) scheint er sogar noch stärker über aller Instrumentenbegleitung zu liegen, als schon im Dark-Side Mix.
Weggefallen dagegen ist die Orgel im Refrain. Der Charakter von Kirchenlied ergibt sich so nicht mehr - der von Kneipensong allerdings auch nicht. Der Chorgesang hat jetzt mehr Raum, was als Mittel weniger speziell ist.
So Much gibt sich im Bright-Side Mix im Ganzen konventioneller - möglicherweise auch verträglicher.
Aufgegeben wurde ebenfalls noch, als Begleitung zum letzten Refrain den Bläsersatz alleine stehen zu lassen. Hier macht er jetzt nur eine Akzentuierung. Was an dieser Stelle allerdings hinzukommt, ist ein unergründliches Rauschen, das das Klangbild weiter verdichtet und dem Song zum Schluss hin nun eine feine Steigerung gibt. Das bleibt im Mix bis zur Abschlussphase, in der dann als kleines, neues Element vom Chor noch eine nach oben laufende Gesangsfigur zu hören ist, die überrascht.
Tatsächlich also hat auch hier Spike Stent wieder ein volleres Arrangement geschaffen. Vielleicht auch ein geschmeidigeres.
Der In-Side Mix wurde bei Apple Music aufgrund technischer Schwierigkeiten einen Tag verspätet veröffentlicht.
Im Gegensatz zum gleichzeitig erschienenen Bright-Side Mix liegt der Fokus in dieser Version zu Beginn ganz klar auf Piano und Gesang. Gitarre und Bass treten erstmal überhaupt nicht in Erscheinung, und das Piano klingt voll und warm. Ein sehr akustischer Klang, bei dem zu hören ist, dass man sich hier viel Mühe mit der Aufnahme eines hochwertigen Instruments gegeben hat.
Der Gesang ist ähnlich trocken abgemischt wie beim Bright-Side Mix. Der Hall ist hier äußerst dezent eingesetzt und vermittelt eher das Gefühl eines natürlichen Raumklangs, als eines Reverb-Effekts.
Dass es sich um einen Dolby-Atmos Mix handelt, merkt man nur, wenn man auf den Gesang achtet, der ähnlich wie bei den bisherigen In-Side Mixen bei Kopfbewegungen mit Apple AirPods an einer Stelle bleibt, während das Piano den Bewegungen folgt.
Mit Einsetzen des Refrains wird die Begleitung dann mit Chor und einem Orgel-Sound angereichert.
In der zweiten Strophe kommen schließlich auch Bass und Gitarre hinzu. Die Gitarre ist stellenweise etwas besser zu hören, als in den anderen beiden Versionen, insgesamt bleibt der Einsatz beider Instrumente aber eher dezent.
Zum Ende der zweiten Strophe kommt dann auch das Orchester erstmals zum Einsatz und gestaltet vorsichtig den Übergang zum zweiten Refrain. In dem ist es hörbar, bleibt aber weiterhin zurückhaltend eingesetzt. In der dritten Strophe und auch im Übergang zum darauffolgenden Refrain wird auf das Orchester wieder vollständig verzichtet.
Im letzten Refrain und vor allem zum Ende hin kommen als Steigerung nochmal alle bereits erwähnten Elemente zum Einsatz, ohne dabei aber dominant zu werden. Im Outro bleiben schließlich noch Gesang, Piano, Chor, Gitarre, Bass und Orgel hörbar.
Wer den etwas reduzierteren Ansatz vom Bright-Side Mix mochte, wird auch mit dem In-Side Mix etwas anfangen können. In beiden Versionen wurde bewusst darauf geachtet, den Einsatz vom Orchester zurückhaltend zu gestaltend und auch mit Hall-Effekten beim Gesang sparsam umzugehen, um die intime Stimmung dieser Ballade zu unterstützen.
Die diesmalige Zusatzversion für Bandcamp-Abonnenten ist eine Gitarren-Fassung. Gabriel hatte sie in seinem Deep Dive Video schon angekündigt und dazu gesagt, dass er eine andere Richtung hatte versuchen wollen. Da So Much aber sehr persönlich ist, fühlte es sich für ihn richtiger an, zu dem für ihn persönlicheren Piano als Fundament zurückzukehren.
Interessant ist der Versuch an sich schon, denn Gitarre ist nun definitiv nicht Gabriels Zentralinstrument und in diese Richtung zu gehen, passiert ihm nicht oft.
Offenbar ist diese Version auch nicht in einer gemeinsamen Studiosession entstanden, sondern Gabriel hat an David Rhodes ein Demo verschickt, zu dem der dann eigenständig einen Part eingespielt hat. Das funktioniere gut, denn da David (und auch Tony) "mich jetzt so gut kennen, wissen sie, was ich mag... wir machen das in Kurzform."
Gezupfte E-Gitarre, dazu schlicht liegende Basstöne - das wirkt einfach, sanft, vielleicht verträumt. Als kleine Zusätze sind da noch sehr leise Synthiesounds - und ein Verfremdungsgeräusch, das undeutlich im Hintergrund schnarrt.
Zum Refrain finden sich dann leichte Orgelklänge ein (nicht so schwer wie im ersten Hauptmix) - und in den Credits sind außerdem noch "Sample Strings" ausgewiesen. Es ist aber schwer auszumachen, wo die hier genau in Erscheinung treten.
Für die Strophen wird dann zur schlichten Gitarrenbegleitung zurückgekehrt. Wesentliche Änderungen an dieser Abfolge gibt es nicht weiter. Auch nicht im letzten Refrain an der Stelle, an der im Dark-Side Mix die Bläser herausstechen. Im Ganzen bleibt die Gitarrenversion in sich sehr gleich.
Diese Schlichtheit kann bestechen, da sie so überaus friedfertig wirkt. Das hat durchaus was Umfangendes. Im Ganzen verbindet es sich aber nicht so gut mit dem Textinhalt des Stücks. Natürlich ist das hier eine noch unfertige Fassung, in der die Begleitung nicht komplett ausgearbeitet wurde. Trotzdem war die Entscheidung von Gabriel, diesen Weg nicht weiterzuverfolgen, vermutlich richtig.
Das erste von zwei Studioalbum aus 2016. Akustisches Flair, zurückgenommene Arrangements. Digibook.