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Phil Collins – 12″ers – Rezension

1987 veröffentlichte Phil Collins ein Album mit Extended Versions von sechs Tracks des Albums No Jacket Required und nannte es 12″ers.

Als man von Collins nicht genug bekam… – das 12“ers-Album (eine Rezension für Komplettisten)

Nein, eigentlich brauche ich dieses Album nicht. Auch nicht als großer Collins-Fan, der ich schon seit vielen Jahren bin. Aber andererseits wollte ich ja gerne diese Rezi für den Fanclub schreiben. Und nach dem Motto „Wenn schon, denn schon“ musste dann diese CD her. Auch wenn da nur Stücke drauf sind, die ich schon habe. Nun gut, es sind längere Versionen von Stücken, die ich schon habe. Der Fachmann nennt so etwas „extended remix versions“.

Geburt und Bedeutung der Maxi-Single

Um das Ganze richtig einordnen zu können, reisen wir zurück in eine Zeit, in der Musikfans noch fleißig Tonträger kauften. Und zwar das „schwarze Gold“ des Vinyls. In erster Linie waren das die großen Longplayer (Alben/LPs) und die kleinen Singles. Irgendwann in den Siebzigern wurde dann durch den Einsatz in Discotheken ein weiteres Format populär: die Maxi-Single. Groß wie ein Longplayer, aber mit einer eher an Singles orientierten Spielzeit. Als „Erfinder“ dieser neuen Scheibe gilt der amerikanische Musikproduzent und Remixer Tom Moulton, der aber in bescheidener Weise nicht sein eigenes Handeln, sondern den Zufall als Entstehungsgrund beschreibt:

„Ich habe Mitte der Siebziger viele Dance-Mixe von Songs angefertigt. Die Auftraggeber waren Plattenfirmen, die wollten, dass ich die Originale tanzbarer mache. Diese Edits wurden dann als spezielle Promo-Singles an DJs verteilt. Wenn ich mit einem Mix fertig war, habe ich immer eine Testpressung, einen Rohling, für die Plattenfirma anfertigen lassen. Bei Al Downings „I’’ll Be Holding On“ stellte der Mixingenieur Jose Rodriguez plötzlich fest, dass die 7-Inch-Acetate ausgegangen waren.

Also nahmen wir einen 10-Inch-Rohling. Er bespielte ihn mit meinem Mix, aber dadurch entstand all dieser leere Platz, da die vorhandenen Rillen nur einen Bruchteil der größeren Platte ausmachten. Ich fand, dass das dämlich aussah – wie ein Fehler. Also fragte ich den Techniker, ob er die Rillen des Songs nicht auf der ganzen Fläche der 10-Inch verteilen könne. Er antwortete, dass das nur ging, wenn man die Dynamik der Signale anheben würde. Ich sagte ihm, dass das doch völlig egal sei, Hauptsache es sieht richtig aus (lacht).“ (Zitat entnommen aus einem Tom Moulton Feature der Website www.groove.de)

Die so gepresste „größere Single“ irritierte beim ersten Abspielen den DJ, da sie viel lauter als eine herkömmliche Single war, was Moulton dem DJ jedoch als Vorteil zu verkaufen wusste. Aus 10-Inch wurden schließlich 12-Inch, und da sie jetzt wie ein Longplayer aussah, sollte sie auch mit 33 Umdrehungen abgespielt werden.

Die neuen und oft längeren Remixe bekannter Hits etablierten sich zunächst in der Clubszene. Als zunehmend Hörer die von ihnen favorisierten Clubfassungen auch im Radio hören und kaufen wollten, war dann ein Markt für die neue Maxi-Single entstanden.

In den 80ern wurde es dann quasi zum Standard, parallel zu den Hitsingles auch neue, verlängerte (extended) Remixe dieser Hits auf einer Maxi-Single zu veröffentlichen. Höhepunkt dieser „Maximanie“ war 1983 sicherlich New Orders BLUE MONDAY, die erste Nr. 1 in den Singles-Charts, die keine Single war, sondern zunächst nur als Maxi-Single erschien.

Phils Aufstieg zum Superstar

In den Jahren 1984/85 gelang Phil Collins infolge zahlreicher Tophits in den US-amerikanischen Charts und seines Album Megasellers No Jacket Required dann auch der endgültige Aufstieg vom Star zum omnipräsenten Superstar.

Phil Collins - Japanisch 12-ers EP von 1985

Alleine aus No Jacket Required (1985) wurden vier Singles ausgekoppelt, die allesamt die Top 10 erreichten: Sussudio, One More Night, Don’t Lose My Number und Take Me Home. Und natürlich gab es dann zu diesen vier Songs auch jeweils einen extended Remix. Tja, und dann hatte wohl jemand die Idee, in dem Jahr (1987), in dem weder Collins noch Genesis ein musikalisches Lebenszeichen auf Tonträger sendeten, ein Album mit diesen Langversionen seiner Hits herauszugeben. So kam es zu 12“ers, das im Oktober 1987 erschien.

Interessante Info am Rande: Bereits zwei Jahre vorher erschien unter dem typographisch leicht veränderten Namen 12“-ers (hier mit Bindestrich!) übrigens eine Maxi-Single exklusiv für den japanischen Markt, die 4 Extended Versions enthielt, darunter einen Take Me Home-Remix mit kürzerer Spielzeit. 1

Tracklist und Produktion

Zusätzlich zu den vier Hits gab es noch verlängerte Versionen von Only You Know ANd I Know (zuvor eine B-Seite der Separate Lives 12“-Single) und Who Said I Would (exklusiv für dieses Album angefertigt). Gemacht wurden mit Ausnahme von One More Night, für das Hugh Padgham verantwortlich zeichnet, alle 12“ers-Versionen von dem damals für solche Zwecke sehr beliebten und kompetenten Remixer John „Tokes“ Potoker. So kommen wir zu folgender Tracklist:

Take me home 8:07
Sussudio 6:35
Who Said I Would 5:51
Only You Know And I Know 6:56
Don’t Lose My Number 6:36
One More Night 6:21

John Potokers Background Story

John Potoker ist trotz seiner zahlreichen Remix-Arbeiten in den 80er-Jahren ein weitgehend unbeschriebenes Blatt. Man findet im Internet recht wenig zu seiner Person und seinem Schaffen, und daher stammen alle weiteren Infos und Zitate aus einem Interview auf der Webseite www.thelastmiles.com.

Geboren in New York als Sohn eines Musikers spielte er zunächst auch selbst Gitarre und Klavier, bevor er im Alter von 17/18 Jahren erste Erfahrungen als Tontechniker sammelte. Interessant ist vielleicht, wie es zur Zusammenarbeit auf 12“ers kam, denn Johns erster Remix eines Phil-Songs (Easy Lover) fand schon vorher statt:

„Phil had used a drum machine track as a guide track version of the song. But when I got the tracks, the drum machine was still there, and out of that drum machine, I created a part to lead in and out of areas of the remix“.

So kurzfristig der Easy Lover-Remix für Phil war (Potoker hatte dafür nur ein Wochenende Zeit), so überzeugend war für Collins wohl das Ergebnis:

„When the song started, it began with the drum machine … and Phil was sitting next to me and he whispered: If I had thought of that intro, I would have used it on my own version.“

Fragt man Potoker nach seiner Philosophie beim Remixen, so nennt er zwei goldene Regeln:

1. Komme so schnell wie möglich zu einem guten Ergebnis!
2. Remixing ist nicht „Rewriting“!

Gerade im zweiten Punkt unterscheidet sich seine damalige Arbeit damit entscheidend vom Selbstverständnis anderer Produzenten, die für Remixe viel eigenes Zeug aufnehmen und hinzufügen. Potoker hingegen bleibt grundsätzlich bei dem (den Tracks), was schon aufgenommen wurde. Seine Arbeit besteht im Editieren, Wiederholen, im neuen Anordnen und neuen Kombinieren des ursprünglich Aufgenommenen. Geändert bzw. hinzugefügt werden dabei fast ausschließlich Parameter wie Equalizer/Frequenzspektrum, Stereoverteilung und Effekte auf einzelnen Instrumenten, sowie das Lautstärkeverhältnis der Spuren untereinander.

Die Remixe auf 12“ers – Vergleich zwischen Original und Remix

Take Me Home 8:07 (Original: 5:53)

Der Remix beginnt mit Synthi- und Sequenzerspuren, sowie einzelnen Drumbeatakzenten. Alle Songteile werden durchlaufen, bevor dann deutlich verspätet bei 1:21 (Original: 0:25) der Gesang einsetzt. In der ersten Strophe hören wir ein luftiges Arrangement, das nur aus Keys und einzelnen programmierten Drums besteht. Bei „I don’t mind“ (Prechorus) bekommt Phils Gesang ein prägnantes Echo. In der zweiten Strophe gibt es durch das Einsetzen des Basses eine kleine Steigerung, im zweiten Prechorus stößt die Gitarre zum Arrangement, bevor wir dann im ersten Refrain erstmals echte Drums zu hören bekommen. Vor Strophe 3 wird ein kurzes instrumentales Zwischenspiel eingefügt, und in der folgenden Strophe liegt der Fokus dann auf Phils Drums als Begleitung.

Phil Collins 12"ers

Wunderschön wandern seine Tom Fills von links nach rechts. Im zweiten Chorus kriegen wir noch mehr Drums (programmierte und echte) zu hören. Der dritte Chorus ist dann wieder luftig und vokal-fokussiert. Zum Ende hin kommen dann nach und nach wieder Drumspuren und Gitarren mit dazu, bevor wir einem ausschließlich perkussiven, nur aus Drumsounds bestehenden Finale mit einem kurzen Fade-out lauschen dürfen. Insgesamt ein in meinen Ohren gelungener Remix, da immer wieder einzelne Klänge/Instrumente schön akzentuiert und herausgearbeitet wurden.

Sussudio 6:35 (Original: 4:23)

Ersetzen wir die feingliedrige Einzelanalyse an dieser Stelle der Abwechslung halber mal durch eine kleine Anekdote von Potoker:

„Sussudio was a great Remix for me, because later on … Phil came by when he was touring with his band … and he said: We’re doing  your Arrangement of Sussudio in my live shows“.

Und ja, das beschreibt den Aufbau dieses Remixes ziemlich gut.

Who Said I Would 5:51 (Original: 4:03)

Hier kommt der einzige exklusive Remix für dieses Album. Ich glaube zu hören, dass Potoker Lust hatte, sich hier mal richtig auszutoben. Leider ist das stellenweise „too much“ bzw. geht in die Hose. Wir starten mit programmierten Drums und Synthbässen, wobei man erstere dem eigentlichen Song nur schwer zuordnen kann. Hat Potoker hier was Eigenes hinzugefügt? Es folgen Sequenzer und der in diesem Song prominente Vocoder. Ab 0:37 setzt Phils Gesang ein, der hier mit ein paar komisch-hektischen Echos versetzt wird. Nach dem zweiten Chorus liegt der Fokus auf den Bläsern. Es folgt die Bridge des Songs.

Dann setzen bei 2:27 die Drums für vier Takte aus – eine gelungene Variation. Weiter geht es mit dem Saxsolo und einem kurzen Instrumentalpart mit Fokus auf den Backing Vocals. Bei 3:11 bekommt die Kalimba ihr Spotlight, bei 3:32 sind es Synthbässe und Vocoder. Nach der letzten Strophe setzen die Drums noch einmal kurz aus. Bläser (mit Echo) und Bass spielen sich in den Vordergrund. Bei 4:52 nerven ein paar gesampelte und reichlich unsensibel eingeflochtene Hits das Ohr des Hörers, bevor der Song mit einem Kalimba-Drums-Part ausfadet. Fazit: Hier wäre weniger mehr gewesen, denn zu viele Ideen stören den Songfluss.

Only You Know And I Know 6:56 (Original: 4:22)

Annährend ähnlich hektisch wie beim Track davor, und ich spare mir die Nennung aller Details, die das Lesen und Hören gleichsam mühevoll machen. Es gibt wieder viele Echo-Experimente mit Phils Gesang. Der zweite Chorus (2:10) verzichtet auf den Bass und die Bridge zunächst auf die Lead Vocals. Bei 4:06 überrascht ein kurzes Drum Interlude. Die letzten zwei Minuten sind trotz zahlreicher Spielereien dann derart redundant, dass man sich fragt, ob Potoker hier nicht mehr so recht wusste, was er noch in origineller Weise verändern könnte, um die sieben Minuten voll zu machen.

Don’t Lose My Number 6:36 (Original: 4:49)

Das ist wieder ein Remix der besseren Sorte. Er verändert nicht zu viel auf einmal. Es weren abschnittsweise einzelne Instrumente und Akzente schön herausarbeitet, indem er diese fokussiert bzw. isoliert. In der Mitte des Refrains wird ein „Oh“ von Phil vervierfacht und damit das Taktschema gesprengt. Gewagt, aber okay. Der beste Teil kommt aber ab 4:57, wo man wunderbar einmal für ca. 20 Sekunden sämtliche Aufmerksamkeit auf Lelands tollen Basspart legen kann. Mag sein, dass ich hier als Bassist befangen bin, aber das konnte Potoker ja nicht wissen. Er hat nur einfach gehört, dass dieser Bass es wert ist, mal auf diese Weise in Szene gesetzt zu werden. Well done!

One More Night 6:21 (Original: 4:48)

Beim letzten Remix darf Hugh Padgham ran. Ich denke, das ist keine „Absage“ an die Remixarbeit von John Potoker. Vielmehr ist es vermutlich so, dass One More Night im Remix mit nur minimalen Veränderungen auskommt, und dass Padgham sich dafür kompetent fühlte. Er dreht den Song also nicht durch die große Remixmühle, sondern spielt auf der kleinen Remixklaviatur. Aber das ist in diesem Fall sehr songdienlich. Apropos One More Night: Das ist ja einer der Songs, der unser Forum in regelmäßigen Abständen immer mal wieder polarisiert. Soeben (im Juni 2025) ploppte die Diskussion zur Songbewertung erneut auf, und mein Userkollege townman schrieb dazu Folgendes:

“Ganz furchtbar sind auch die vielen „One more nights“, das hört gefühlt gar nicht auf mit den Wiederholungen.“

Warum zitiere ich das hier? Nun, im Zuge des Verfassens dieser Rezension kam es mir für einen Moment so vor, als habe Hugh Padgham townmans Einwand antizipiert und ironisch gekontert. Denn in seinem Remix gibt es noch mehr dieser Wiederholungen. Genauer gesagt beginnt der Song mit diesem Textteil. Anschließend folgt eine neue instrumentale Strophe, bevor dann die Struktur des Originals aufgegriffen und weitergeführt wird. Die einzige weitere Änderung besteht darin, dass die tolle Bridge verdoppelt wird, wobei nun (ähnlich wie bei Strophe 1) eine instrumentale der gesanglichen Hälfte vorangeht.

Das Stück endet wie im Original mit Don Myricks tollem Saxsolo. Und hier hat Padgham nun eine Extraportion Solo ausgebuddelt, denn auf dem Tape der Originalaufnahme war anscheinend ein längeres Solo drauf. Während im Original das Solo eine Länge von vier Chorussen hat, dürfen wir jetzt sechs Chorusse lang Myrick zuhören, bevor ausgefadet wird. Das ist in meinen Ohren ein echter Mehrwert. Danke Hugh!

Fazit zum Album

12“er’s von Phil Collins ist sicher vor allem etwas für Komplettisten. Gäbe es diese Remixe nicht, wäre Phils musikalisches Oeuvre nicht ärmer. Immerhin hat das Album mit Take Me Home und One More Night zwei schöne, songdienliche Remixarbeiten. Der Rest ist trotz zeitweise etwas hektischer und nerviger Klangverdrehungen dennoch substantiell genug, um in analytischer Weise den Ansatz eines Remixers wie John „Tokes“ Potoker einmal im Detail nachvollziehen zu können und diese durchaus kreative Arbeit zu würdigen. Und last but not least ist dieses Album eine Erinnerung an eine Zeit, in der tatsächlich Menschen nicht nur 5 Mark für die Single und 20 Mark für die LP, sondern auch noch einen Zehner für die zugehörige Maxi-Single auf die Theke legten. Klingt in Zeiten von Spotify und „massig Musik für lau“ wie Science Fiction, ist aber erst 40 Jahre her.

Autor: Rainer Löser

2019 erschien das digitale Album Remixed Sides, auf dem die sechs Songs ebenfalls enthalten sind.

Referenzen

1 siehe Discogs – danke an Steffen Gerlach für diese Recherche