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Peter Gabriel – Live At WOMAD 1982 – Rezension

Überraschend veröffentlichte Peter Gabriel Anfang August das Live Album Live At WOMAD 1982. Wir hören genauer hin.

Nach In The Big Room veröffentlichte Peter Gabriel innerhalb weniger Wochen mit Live At WOMAD 1982 bereits das zweite vollwertige Live-Album. Letzteres sorgte unter Fans für regelrechte Euphorie, denn sein Auftritt beim der Festival-Premiere von WOMAD war nicht irgendein Konzert, sondern besonders.

Rückblick

Das WOMAD-Festival

Die Veranstaltung sollte ursprünglich „Music From the Edges of the World” heißen. Die Gründer einigten sich dann auf WOMAD. Ursprünglich war ein sechstägiges Festival geplant. Als die logistischen Details klarer wurden, verkürzte man es schließlich.

Das WOMAD-Festival sollte etwas Neues sein und Musik fernab des Mainstreams live präsentieren. Zwischen dem 16. und 18. Juli 1982 fand in Somerset das erste Festival statt (auf dem Gelände Bath & West Showground. Der Veranstaltungsort liegt nur etwa 30km von dem Ort entfernt, an dem Peter lebte und später seine Real World Studios baute. Das Festivalgelände wurde in den frühen 70er Jahren für das Bath Festival genutzt, sodass sein Name gleichbedeutend mit der Stadt war. Daher war es logistisch gesehen wahrscheinlich eine einfache Wahl.

Neben Peter selbst traten aus der Kategorie bekannte Bands auch die Simple Minds auf und ansonsten ca. 60 Künstler und Bands, die man der World Music zuordnen kann oder denen man Nähe zur Weltmusik bescheinigen kann. Dazu zählem The Drummers of Burundi, Pigbag, Salsa de Hoy, Musicians of the Nile, Echo & the Bunnymen, Prince Nico Mbarga, Rip, Rig and Panic oder The Beat.

Künstlerisch wurde das Festival ein Erfolg, aber finanziell war es desaströs. Peter Gabriel hätte daran bankrott gehen können, wenn ihm nicht seine alte Band zur Hilfe geeilt wäre. So war WOMAD dafür verantwortlich, dass es am 2. Oktober 1982 zur einzigen Reunion des klassischen Line-Ups nach 1975 kam.

2022 veröffentlichte man schließlich einen Sampler, der die Highlights der Auftritte abbilden sollte. Auf dem Sampler waren auch zwei Songs von Peters eigenem Auftritt zu finden (I Have The Touch und Biko)

Peter Gabriels eigener Auftritt

Ursprünglich war nicht geplant, dass Peter auch selbst auftritt. Letztlich entschied er sich aber doch dazu, auch um mehr Zuschauer zum Kommen zu bewegen. So wurde sein Auftritt als „besonderer Set mit Non-Album Songs“ angekündigt. Tatsächlich spielte Peter Gabriel nur Songs, die noch gar nicht veröffentlicht waren. Die einzige Ausnahme bildete Biko. Sieben der neun gespielten Stücke waren von seinem kommenden vierten Album. Dazu kam I Go Swimming, das ein Jahr später auf dem Album Plays Live erschien und bereits 1980 live gespielt wurde. Shosholoza war als B-Seite von Biko auch schon bekannt.

Durch die vielen unbekannten Stücke war auch die Reaktion des Publikums speziell. So herrscht nach der Ankündigung von Shock The Monkey absolute Stille – zu dem Zeitpunkt dürfte jeder gemerkt haben, dass Peter es ernst meint mit den unveröffentlichten Stücken.

Peter während seines Auftritts. 
Foto: Giacomino Parkinson

Bis auf Wallflower wurden alle Songs des damals noch unbekannten vierten Albums gespielt – und dies teils in anderen Versionen, als wir sie kennen. Auch die Band ist ungewöhnlich: David Rhodes (Gitarre), John Giblin (Bass), Larry Fast (Synthesizers), Jerry Marotta (Drums), Peter Hammill (Gitarren, Gesang) und “die coole Drum- und Tanzgruppe aus Bristol” Ekomé (Drums, Percussion). Tony Levin war also nicht dabei, was seinerzeit aber nicht so ungewöhnlich war. Schon 1980 war John Giblin in der Liveband. Dafür steht David Rhodes endlich auf der Bühne, er war zuvor an den Aufnahmen zu Gabriels dritten Aufnahmen beteiligt.

Dieser Auftritt wurde nun am 8. August 2025 fast vollständig veröffentlicht.

Das Live-Album

Nun haben wir also eine Veröffentlichung dieses Konzerts „in Händen“ – aber zunächst nur in digitaler Variante. Man kann das Album aber in hochauflösenden Formaten erwerben (zum Beispiel bei Bandcamp). Folgende Tracks sind enthalten:

San Jacinto
The Family And The Fishing Net
I Have The Touch
Lay Your Hands On Me
Shock The Monkey
I Go Swimming
The Rhythm Of The Heat
Kiss Of Life
Biko

Vom Auftritt fehlt nur Shosholoza. Warum es fehlt, ist nicht ganz klar, aber man kann davon ausgehen, dass Peter dieses Stück bzw. dessen Darbietung als verzichtbar angesehen hat.

Das Album wurde von Real World Urgestein Tim Oliver gemischt und sofort fällt der gute Sound auf. Die Höhen sind klar und der Bass ist druckvoll. Wenn man bedenkt, wie das Konzert entstand, wo es stattfand und mit welchen Songs es gespielt wurde, ist das schon eine kleine Sensation. Die Performance aller Songs ist sehr flüssig und Gabriel singt ohne grobe textliche Fehler.

Unterschiede zu späteren Liveversionen und zu den Albumversionen

Da fast alle Darbietungen frühe Liveversionen der Songs sind, die auf IV erscheinen sollten, gibt es naturgemäß Unterschiede. San Jacinto wird hier und da anders toniert gesungen, als wir es von späteren Aufnahmen gewohnt sind. Zum Ende hin gibt es einen anderen Einsatz des Keyboards und das Schlagzeug spielt auch zu Beginn der „Hold the line“ Sequenz nach wie vor einen Beat, der den Song quasi zu einer klassichen Rocknummer werden lässt.

The Family And The Fishing Net hat eine kürzere Laufzeit als auf Plays Live (oder Back To Front: Live In London). Es wird schneller gespielt als auf späteren Aufnahmen. Bevor die Drums einsetzen, gibt es deutlich vernehmbare Keyboardimprovisationen. Die Textzeilen „Even as the soft skins tingle / They mingle with the homeless mother / Who loves the day but lives another / That once was hers“ fehlen auf dem WOMAD-Album, dort geht es gleich mit „The worried father, long lost lover“ weiter.

I Have The Touch hat einen auffälligen Bassteil. Den hatte ja John Giblin gespielt und bei späteren Versionen hat Tony Levin das völlig anders interpretiert. Lay Your Hands On Me hat noch ein „jugendliches“ Flair und man spürt förmlich, wie sich die Band bei diesem Stück ausprobiert und finden muss. Bei Shock The Monkey fällt noch etwas deutlicher auf, dass der Song noch im Entwicklungsstadium steckt. Das ansonsten kraftvoll durch das Schlagzeug angetriebe Stück scheint hier eher den Lead bei den Keyboards zu haben. Die Version von I Go Swimming strotzt nur so von Kraft und gerade der zweite Teil ist grandios!

The Rhythm Of The Heat ist auch in dieser Frühversion eine wahre Messe und wir erleben hier quasi die Geburtstunde eines Gabriel Live-Klassikers. Kiss Of Life hat immer ein Schattendasein geführt und gehört auch sicher zu den schwächeren Album-Closern in Gabriels Diskografie. Zumindest aber passt vor allem das Finale des Songs gut zum Flair des Abends.

Peter Gabriel Live At WOMAD 1982 - Coverartwork

Ekomé, die im zweiten Teil des Auftritts dabei sind, geben den Songs eine zusätzliche Kraft. Dies fällt vor allem bei den Schlussequenzen von I Go Swimming und Kiss Of Life auf. Bei The Rhythm Of The Heat sorgt ihre Beteiligung sogar dafür, dass wir die einzige Live-Version hören, die letztlich das Flair der Studioproduktion reproduzieren kann.

Einen bekannten Song bietet Gabriel den Zuschauern dann doch noch. Biko war seinerzeit auch erst zwei Jahre alt, aber schon ein Live-Klassiker. Und das Publikum, welches das Stück lautstark fordert (gut zu hören auf den Bootleg-Aufnahmen), nimmt das Geschenk dankbar an. Am Ende erklärte Gabriel, dass man mehr nicht mehr spielen kann, weil man die erlaubte Zeit schon überschritten habe …

Übrigens: Peters Auftritt am Sonntag, bei dem Dog One, Indian Melody sowie eine improvisierte Version von Across The River gespielt wurde, bleibt dagegen unveröffentlcht. Angesichts des Improvisationscharakters dieses Auftritts und der nicht immer gelungenen Darbietung kann man vermuten, dass dies auch so bleibt. Allerdings wurde Ritual Mask (mit Peter Hammill) auf dem Sampler-Album vor drei Jahren veröffentlicht.

Vergleich mit Bootlegs

Erstaunlicherweise sind die bekannten Bootleg-Aufnahmen und das nun vorliegende Live-Album fast deckungsgleich, was Laufzeiten angehen. Ein paar Unterschiede haben wir trotzdem entdeckt (wir geben keine Garantie auf Vollständigkeit):

Bei I Have The Touch sind gleich am Anfang hohe „Hou hou hou“ Rufe von PG zu hören, die auf dem Bootleg nicht erkennbar sind. Unklar ist, wo diese nun herkommen (möglicherweise vom Soundcheck?). Sie waren auch schon auf dem WOMAD Sampler zu hören, der vor drei Jahren erschien.

Die Pause zwischen Lay Your Hands On Me und Shock The Monkey wurde geschnitten (wobei hier ohnehin nur verzichtbare Soundtests zu hören sind). Shock The Monkey klingt auf dem Bootleg etwas anders, hier sind die Drums prägnanter.

Nach Shock The Monkey gibt es auf dem Bootleg eine längere Ansage. Gabriel kündigt Ekomé an und schließlich auch I Go Swimming als „something some of you may be familiar with“. Das fehlt auf dem Album. Bei Rhythm Of The Heat tauschte man offenbar einen kleinen Teil der Gesangsspur (es gibt auf dem Live-Album während des ersten Teils der zweiten Strophe eine Kopfstimme von Gabriel zu hören, die auf dem Bootleg nicht vorhanden ist). Nach der ersten Strophe gab es außerdem einige kosmetische Korrekturen – hier geht es auf dem Bootleg auch etwas wild zu, insbesondere an den Keyboards.

The Rhythm Of The Heat endete live mit einer Bandvorstellung und der Ansage des Stücks Shosholoza. Beides und Shosholoza an sich fehlen auf dem Livealbum. Nach Kiss Of Life wurden zudem (wie bei Livealben üblich) drei Minuten „Warten auf die Zugabe“ weggeschnitten. Die Zugabe Biko ist dann stark gekürzt. Auf dem Bootleg zählen wir rund 20 „Ha-Ha-Haaaa“, während es nur sieben sind auf dem Album. Hier wurde auch im Schlussteil Peters Stimme sehr in den Hintergrund gemischt.

Insgesamt sind es aber sehr moderate Anpassungen, die dem Gesamterlebnis eher dienlich sind.

Fazit

Neben dem grandiosen Sound ist auch Gabriel durchgehend starker Gesang beeindruckend. Die Darbietung an sich lebt davon, dass noch nicht alles perfekt ist. Dieses Live-Album dürfte, sofern es auch eine angemessene Veröffentlichung auf CD und Vinyl erfährt, in die Geschichte eingehen und hat gute Chancen, einen ähnlichen Kultstatus wie andere Live-Album von Peter Gabriel zu erhalten. Es war ein besonderer Auftritt im Rahmen eines besonderen Festivals (das bekanntermaßen zur Genesis Reunion 1982 führte) und daraus hat man ein besonderes Album gemacht.

Es ist ein Geschenk an die Fans. Ein schöner Digipak mit Booklet und ein Gatefold-Vinyl würde uns dann noch glücklicher machen. Da kann man auch einfach mal Danke sagen.

Autor: Christian Gerhardts
Foto: Giacomino Parkinson
Vielen Dank an Tom Morgenstern und Thomas Schrage für die technische und inhaltliche Beratung

Live At WOMAD 1982 ist auf den Streaming-Plattformen verfügbar und kann als Download erworben werden.
Download: Bandcamp | AmazonMP3* | Qobuz*

Links

Das WOMAD-Festival – offizielle Website


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