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Peter Gabriel – In The Big Room – Rezension

Am 27. Juni 2025 ist mit In The Big Room nun ein weiteres Livealbum von Peter Gabriel erschienen. Wir schauen genauer hin.

Wieso sind da ‚Lunatics in the Big Room‘? Am 23. November 2003 gab Peter Gabriel ein recht bemerkenswertes Konzert. Es fand zwar im Zusammenhang mit der Growing Up Live Tour statt, aber in geradezu bescheidenem Rahmen vor gerade einmal 100 Zuschauern. Dafür bei Gabriel zuhause in den Real World Studios in Bath – genauer: im sogenannten Big Room – und die Tickets dafür hatte er online verlost. Teilnehmen konnten die Fans, die auf seiner Webseite im sogenannten Full Moon Club waren, der im Wesentlichen zu jedem Vollmond ein Grußvideo von Gabriel online stellte. Gabriel nannte diese Fans „Lunatics (Mondsüchtige)“.

Die Setlist

In The Big Room, Foto: York Tillyer

Der hier festgehaltene Auftritt saß nach dem Abschluss des dritten Legs der Tour mit den sogenannten „Stripped Down Shows“ (weil sie ohne große Rundbühne und volle Showelemente auskamen) und vor Beginn des fünften Legs, der den Namen Still Growing Up Live bekam. Dieser also nun vierte Leg dazwischen (falls man ihn überhaupt als solchen bezeichenen will) bestand aus gerade einmal vier Terminen im November 2003 und einem Piano-Solo-Konzert im Rahmen des Newport Film Festivals im März 2004. Siehe die Liste der Tourdaten hier.

Die Auswahl der Stücke, die an diesem Abend gegeben wurden, war ein bisschen speziell. Weit vorher hatte Gabriel auf den ersten beiden Legs der Growing Up Tour irgendwann eine für ihn passenede Setlist gefunden, die sich im Prinzip nicht mehr veränderte. Neben allen hier vertretenen Songs vom UP-Album stammten aus dieser Phase die Umsetzungen von Downside Up, Mercy Street, Digging in the Dirt, Secret World, Father, Son und In Your Eyes. Für die eben erwähnten Stripped Down Shows durch Nordamerika hatte Gabriel einige weitere Klassiker ins Programm genommen, von denen hier Games Without Frontiers, The Tower That Ate People, San Jacinto und Shock the Monkey her stammen.

Schließlich probierte er bereits ein paar Stücke aus, die dann beim nächsten großen Leg, der Still Growing Up Tour, fest ins Set kamen. Neben den bereits erwähnten Games, Tower und San Jacinto war dies vor allem Burn You Up, Burn You Down, dass er hier erst zum zweiten Mal live spielte.

Zusätzlich hatte sich Gabriel für diese Show vor explizit eingefleischten Fans noch etwas besonderes ausgedacht: Er stellte im Ganzen zehn Songs zusammen, aus denen das Publikum drei Tracks für das Ende des Konzerts auswählen konnten. Die drei gewählten Stücke waren also Secret World, Father, Son und In Your Eyes. Noch zur Auswahl hätten gestanden: Biko, Red Rain, Growing Up, Sledgehammer, My Head Sounds Like That, No Way Out, Here Comes The Flood.

Wie man das Ergebnis dieses Votings bewehrten soll, lässt sich fragen. Gewählt wurden drei Stücke, die auf allen drei Legs der Gesamttour zum Regelprogramm gehörten. Nicht gewählt wurden dagegen Raritäten wie My Head Sounds Like That und No Way Out, was sicher schade ist, denn dadurch sind sie einer geregelten Liveveröffentlichung entgangen. Allerdings sind diese beiden Songs auch eher sperrig – das anwesende Publikum wollte offenbar doch lieber Crowdpleaser hören. Interressant dann wiederum, dass auch die großen All-Time-Favorites Sledgehammer, Red Rain und Biko abgewählt wurden. – Wer immer das weiter analysieren möchte: Nur zu…

Die Veröffentlichungen

Real World Studios, Foto: York Tillyer

Dieses Konzert ist bemerkenswerterweise gleich dreimal erschienen. Ein erster Mitschnitt wurde bereits kurz nach dem Auftritt im Januar 2004 über die von Gabriel mitinitiierte Musik-Download-Plattform OD2 unter dem Namen The Big Room Session angeboten. Es dürfte die vollständigste Veröffentlichung sein, denn es waren neben ausführlichen Zwischenansagen auch Darkness und Solsbury Hill enthalten.

Zwischen dem 24. April 2024 und dem 19. Juni 2025 wurde das Konzert dann noch einmal trackweise im Rahmen des Full Moon Bandcamp Abos verfügbar gemacht. Diesmal vielleicht mit ein wenig mehr Beachtung, ging das erste Angebot doch weitgehend unter. Jetzt hieß das Ganze Lunatics In The Big Room, und ihm fehlten nun Darkness und Solsbury Hill. Die Gründe dafür dürften technischer Natur sein, denn nicht alles an dem Abend funktionierte fehlerfrei und Solsbury Hill musste sogar zweimal begonnen werden.

Bei dieser Veröffentlichung waren Zwischenansagen enthalten, in denen Gabriel in der Regel erzählt, wo und wie der jeweils nächste Song aufgenommen wurde („hier gleich über uns“… „nicht weit weg von hier“…) oder er ein paar andere, kleine Erläuterungen gibt. Zusätzlich stand allem ein Track voran, der aus der Begrüßungsansage bestand. Sehr umfangreich also, anzumerken sei jedoch, dass auch hier geschnitten worden war, denn bei fast allen Tracks wurde der Applaus am Schluss ausgeblendet und die Aufnahme setzt zum nächsten Stück dann neu an.

Schließlich gibt es jetzt also seit dem 27. Juni 2025 die Show als eigenständiges Album (zunächst nur in digitaler Form), das jetzt nur noch schlicht In The Big Room heißt. Darkness wurde wieder eingefügt, Solsbury Hill fehlt noch immer. Auch die Ansagen wurden auf ein Minimum reduziert. Dafür gehen die Tracks jetzt, wie bei einem Livealbum üblich, ineinander über. Außerdem wurde das gesamte Material gemastert, was wohl auch im Hinblick auf eine zukünftige Veröffentlichung auf Tonträger geschah. Technisch gesehen hat die Wiedergabe jetzt eine höhere Dynamik, jedoch auch ein Limit, um Übersteuerung zu vermeiden.

Das Album

Peter Gabriel In The Big Room Album-Cover

Auf die Setliste wurde ja bereits eingangen. Innerhalb der enorm langen, und sich immer wieder sprungweise ändernden UP-Gesamt-Tour, stellt sie eine merkwürdige Zwischenstufe dar: Nicht mehr pur das Programm der Growing Up Tour, aber auch noch nicht die gänderte Abfolge der Still Growing Up Tour. Beide Abschnitte sind ja für sich in entsprechenden Konzertfilmen dokumentiert, sie hier sozusagen vermischt zu haben, ist ganz hübsch. Zumal Shock The Monkey in einer Livedarbietung dieser Tour hier einmalig verewigt ist.

Ansonsten hat das Programm auch in sofern eine Ausnahmestellung, als dass es zwar einige tradierte Klassiker beinhaltet, zusätzlich viele (damals) neue Stücke, aber etliche Showknüller auch fehlen (nicht zuletzt durch das Streichen von Solsbury Hill). Somit ist die Tracklist des Albums tatsächlich recht ungewöhnlich und passt zu einer besonderen Fan-Veranstaltung.

Die kleine Location lässt eine gute Stimmung vermuten. In der Tat ist sie begeistert, wenn auch nicht überbordend euphorisch. Es handelt sich allerdings auch um ein Sitzplatz-Konzert, die ein Publikum ja immer eher etwas dämpfen. Gabriel scheint gut gelaunt bei diesem Heimspiel zu sein, trotzdem wirkt er nicht absolut gelöst. Vielleicht mag das an der viermonatigen Pause liegen, die es seit dem letzten Konzert gab – lediglich gefüllt durch einen Kurzgig zwei Tage vor dieser Big Room Show. Immerhin: Die später zunehmend gefürchteten Fuck-Ups seiner Konzerte hört man hier nicht.

Die dargeboteten Livefassungen der Stücke sind im Wesentlichen ja aus den Tourfilmen bekannt. Sie sind mit dieser Band kraftvoll, bleiben aber auch immer ein wenig statisch. Dafür kann man im Mix von Ben Findlay, der wie immer sehr klar und detailvoll ist, viele Elemente heraushören, die so bislang nicht deutlich zu orten waren. Besonders die beiden Gitarren und ihre jeweilige Abgrenzung zueinander kommen gut zur Geltung (Burn You Up, Burn You Down), oder etwa die verschiedenen Keyboardklänge bei More Than This oder San Jacinto. Dem Acapella-Intro von Mercy Street ist relativ viel Hall zugemixt, was schön wirkt, aber ein wenig kontrastiert mit der sonst eher trockenen Abmischung (nicht nur) der Vocals.

Schade ist, dass ausgerechnet Shock The Monkey, der Song, der in dieser Setliste eine ziemliche Ausnahme darstellt, eher ausgebremst daherkommt, jedenfalls weit entfernt von der Dynamik und Power, die das Stück noch 1987 bei der So-Tour hatte.

Fazit

Die Veröffentlichungsweise dieses Albums ist mal wieder mit allen gabrielischen Schlenkern versehen. Ob man den Abonnenten nicht einen Mehrwert nimmt, wenn man ihnen dieses Konzert als exklusives Angebot jetzt wieder wegnimmt, steht zur Debatte. Sicher ist die Bandcamp-only Veröffentlichung im Detail anders, als das jetzt offizelle Album, die Musik an sich betrifft das aber nicht wirklich. Und um die geht es doch.

Ansonsten ist die Show ganz schön und ein interessantes Dokument dieser Phase der Vorbereitungen für die Still Growing Up Tour. Für die Fans, die damals anwesend waren, ist diese Veröffentlichung zudem sicher auch eine schöne Erinnerung. So ganz überbordend spektakulär ist das Konzert dann allerdings trotzdem nicht. Drum ein nice-to-have aber wohl kein must-be.

Autor: Thomas Schrage


Tracklist

1. Burn You Up, Burn You Down 4:23
2. More Than This 6:12
3. Games Without Frontiers 5:01
4. Downside Up 5:30
5. Mercy Street 6:39
6. Darkness 6:45
7. Digging In tTe Dirt 6:31
8. The Tower That Ate People 5:01
9. San Jacinto 8:24
10. Shock The Monkey 5:26
11. Signal To Noise 8:04
12. Secret World 8:26
13. Father, Son 4:26
14. In Your Eyes 10:00

Band & Credits

Tony Levin (bass)
David Rhodes (guitar)
Richard Evans (guitar, mandolin, tin whistle)
Rachel Z (keyboards)
Ged Lynch (drums)
Melanie Gabriel (vocals)
Peter Gabriel (vocals, keyboards)

Mixed by Ben Findlay
assisted by Claire Lewis and Thea Cochrane
Mastered by Matt Colton at Metropolis Studios

In The Big Room ist auf den gängigen digitalen Plattformen erhältlich und kann auch als Download erworben werden, zum Beispiel bei amazonMP3 *.

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