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Die Magie von Phil Collins‘ Face Value
Rezensionen sind oft genug nüchterne Analysen mit Aufzählungscharakter. Es gibt aber Alben, die reizen das Denkzentrum weitaus mehr. Face Value ist so ein Album. Christian Gerhardts versucht zu vermitteln, warum dieses Album die Genesis-Familie prägte wie vielleicht kein anderes.
Kommentar: Die Magie von „Face Value“
„Face Value“
 Ich weiß noch, wie ich meine ersten Gehversuche im Genesis-Lager
 unternahm und irgendwann – nach But Seriously und No Jacket Required,
 auf Face Value stieß (damals zunächst als Kaufkassette – früher gab es sowas noch in Massen).
 Mein erster Gedanke war: Wie kann man so ein unfassbares Album
 veröffentlichen? Das war von But Seriously genauso weit weg wie von
 Selling England By The Pound, das ich kurz vorher gekauft hatte. Ich war erst 14 und
 hatte keine Ahnung vom Werdegang von Genesis oder sonstwem.
 Face Value hatte mich „schwer getroffen“ und bis heute lässt es mich
 nicht mehr los. Es dauerte Jahre, bis ich vieles verstand und vor
 allem, bis ich erkannte, welches Niveau dieses Album hat. Und bis ich
 Eric Clapton auf If Leaving Me Is Easy raushörte.
Damals war I’m Not Movin‘ DIE Nummer schlechthin. Heute ist You Know What I Mean die Mutter aller Balladen. Auch deswegen, weil man irgendwann das, was Collins so leidenschaftliche zerrissen singt, irgendwann selbst mal erlebt hat.
Das erste mal Droned … was war das für ein beknacktes Stück. Und
 heute? Es gibt wenig Collins-Stücke, die genialer sind. Fast das
 gleiche gilt für Hand in Hand, und selbst 1997 war es fast so, als würde Phil Collins gleich das beste Stück als Opener spielen. Nichts, gar nichts hatte Hand In Hand von seinem Glanz verloren. Was man von Sussudiomit Sicherheit nicht sagen kann.
Wer sind eigentlich Genesis? Das faszinierende an Face Value ist, dass
 es sich, je mehr man es hört, immer weiter von irgendwelchen
 Genesis-Alben entfernt. Jeder meint, But Seriously mit Invisible Touch
 vergleichen zu müssen oder vergleichen zu können. Aber Face Value –das
 steht einfach nur da und ist groß. Viel zu groß für vieles andere. Und viel zu anders.
 Alles redet über In The Air Tonight. Es ist Collins‘ größte Hypothek. Es war
 kein Zufall, dass dies bei jedem Konzert nach wie vor DAS Highlight
 ist. Dass man sich einfach mit ans Schlagzeug setzen und durch die
 Felle runterpoltern zur Legende machen kann, ist ja fast schon dreist.
 Aber genau das passierte. Collins hat das nie getoppt. Mit jedem Album wurde
 er ein Stück verkrampfter, scheinbar wissend, dass er nie wieder etwas
 wie Face Value würde erschaffen können.
Bemerkenswert finde ich Shankar, der auf der Face Value-DVD sagt
 (sinngemäß): „Wir hatten keine Ahnung, was das für ein Album wird. Pop, Jazz, Instumental, Fusion – wir wussten es nicht. Aber die Art wie Phil
 arbeitet, er kann sehr spontan alles über den Haufen werfen – Phil
 Collins erinnert mich an Frank Zappa.“ 
 An wen? Als ich mein Interesse
 für Genesis & Collins entwickelte, war Collins längst die Hassfigur
 der schreibenden Presse und hatte mit Frank Zappa so viel zu tun wie Mike Rutherford mit Brad Pitt.
 Aber an Face Value, da scheint sich keiner ranzutrauen. Face Value ist
 zu groß dafür und Collins machte sich im Laufe der Jahre viel zu klein,
 um etwas vergleichbares zu kreieren.
Ich kann mich an dem Album zu Tode hören, ich werde es nie leid. Es
 gibt dafür keine ungünstige Tageszeit. Ich bin leidenschaftlicher Peter
 Gabriel-Fan und liebe Selling England …und A Trick of The Tail, aber einmal wurde ich gefragt: „Was meinst du, was ist das beste Album, das
 Genesis oder irgendjemand von Genesis überhaupt jemals veröffentlicht
 hat?“
Lange nachdenken musste ich nicht, es gab für mich nur eine Antwort.
 Autor: Christian Gerhardts, im April 2006
 Links: The Making Of Face Value – DVD-Rezension