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Armando Gallo – Remembering … The Lamb – Rezension
Im Fahrwasser des Genesis-Boxsets veröffentlichte der Fotograf und Journalist Armando Gallo 2025 den Bildband Remembering … The Lamb.
Imaginary creatures are trapped in birth on celluloid…1
Vorbemerkung
Kaum ein Name ist mit der visuellen Seite von Genesis so verbunden wie Armando Gallo. Der Rezensent wird den Augenblick, in dem er Ende 1978 die deutsche Version seiner Bild-Biografie zur Band in den Händen hielt, nie vergessen.2 Sachkundige Hintergrundberichte gesellten sich zu wunderbaren Fotos dieser einzigartigen Band. Für jemanden, der die Frühphase der Band nicht direkt erleben durfte ein wahrer Fundus. Es gab dann noch mehrere Neuauflagen mit zusätzlichem Material zur Geschichte von Genesis, die natürlich alle erworben wurden.
Hintergrund
Wie entstand denn der Kontakt von Armando zu Genesis, der ihn zum „Hofberichterstatter“ werden ließ? Ich zitiere aus einem Interview, dass der Deutsche Genesis Fanclub it mit ihm in Welkers führte: 3
„Ich war in London als Auslandskorrespondent eines italienischen Magazins. Im Oktober 1970 bekam ich einen Anruf vom Chefredakteur des Magazins Ciao 2001.4 Er machte mir das Angebot, auf das ich gewartet hatte: „Können Sie mir eine wöchentliche Kolumne schreiben und zwei Artikel pro Woche dazu? Können Sie mir das garantieren?“ Ich war total begeistert, weil ich jetzt endlich meine bisherige Arbeit als Architekt aufgeben und Vollzeitjournalist werden konnte. Er sagte mir dann: „Ich will nicht noch mehr über die Beatles und die Rolling Stones hören. Schreib über neue Gruppen. Du hast Carte Blanche dafür. Ich mochte damals Van Der Graaf Generator und habe sie mit ein paar Freunden im Lyceum live gesehen, am 19. Januar 1971, meinem Geburtstag. Da habe ich Genesis gesehen, weil sie die Vorgruppe waren…“
„…Die erste Begegnung war ein Jahr später. Sie gingen auf Tour in Italien und ich wollte ein Interview mit ihnen machen, das dann eine Woche vor der Tournee erscheinen sollte. Damals habe ich die Bilder gemacht, im März 1972…“
„…Ich fand die Band einfach klasse. Wenn man sich allein mal The Musical Box anhört – das ist ein einziges Stück, in dem es klassische Musik, Oper und alles gab. Italiener können sich mit so einem Stück identifizieren. Das war das Element, das Genesis mit Italien verband. Ich habe sie ihrem ersten Tourpromoter in Italien vorgeschlagen. Er suchte neue Bands und ich hab sie ihm vorgeschlagen. Er hat ihnen 100 Pfund pro Auftritt bezahlt. In England bekamen sie gerade mal 40 oder 50 Pfund pro Gig. Aber in Italien konnten sie neun Auftritte in fünf Tagen absolvieren. Da gab es beiderseitige Sympathie…“
„…Ich war der Typ, der sich in den Flieger setzte, um sie in Kalifornien zu sehen. Dafür waren sie dankbar. Das tun nicht viele Leute, schon gar nicht für eine Band, die noch nicht so viele Platten verkauft hat. So hat sich eine Freundschaft entwickelt. Aber ich war immer auch der Reporter, der Journalist, der Fotograf. Eine berufliche Freundschaft. Wir sind nie gemeinsam in den Urlaub gefahren…“
Wie wir wissen, sind aus diesem Kontakt unzählige Konzertbesuche, unzählige Fotos und mehrere Bücher zur Band entstanden. 5
In dieser „Reihe“ ist nun Armandos neues Werk, das sich nur mit dem Album und Konzerten zu The Lamb Lies Down On Broadway beschäftigt, erschienen. Armando konnte Genesis 1975 am 24.01. im Shrine Auditorium in Los Angeles und am 25.01. im Civic Theater in San Diego sehen. Die Fotos entstanden hauptsächlich in LA. In San Diego machte sich Armando vor allem Notizen für seine Reportage für das Ciao 2001 Magazin.
Form, Aufbau, Inhalt
Das Buch kommt als Softbook in einem Format etwas größer als Din-A4 daher. Es reiht sich mit dieser Größe in Armandos Softbook-Ausgaben der verschiedenen Auflagen/Ausgaben seines Genesis-Buchs. Es gibt kein Inhaltsverzeichnis und keine Seitenzahlen. Beigefügt sind zwei Paper, dessen Din-A4-Seiten zusammengetackert sind. Das eine beschreibt die rund 100 Fotos, die klitzeklein mit Seitenzahlen abgebildet sind, nach Ort und Inhalt. Das andere erklärt die Songs des Albums inhaltlich und musikalisch.
Das Buch erhält dadurch den Charakter eines Ausstellungskatalogs, in dem die Fotos ohne Text für sich sprechen können. Hierin unterscheidet es sich von Robert Ellis Lamb Buch. 6
Es gibt lediglich 18 Textseiten mit Fotos zu Beginn und drei am Ende des Buches. Sie beinhalten eine kurze Einführung, ein Interview Armandos mit Peter, Ende Oktober 1974 nach Fertigstellung des Albums, die Reportage der Lamb-Show, sowie eine Danksagung mit ausklingenden Worten und eine kurze Biografie des Autors.
Interview
Die Grundlage des vorliegenden Textes ist die aktuelle englische Übersetzung des in Italienisch verfassten Interviews für das Ciao 2001 Magazins. Die enthusiastischen italienischen Fans waren begierig Neues über Genesis zu erfahren. Schon bei der Veröffentlichung des Selling England By The Pound Albums berichtete Armando für das Ciao 2001 Magazin. Das wusste Tony Smith, der Armando bat, das neue The Lamb Lies Down On Broadway Album den italienischen Fans näherzubringen. Armando bekam von ihm eine Acetat-Pressung (!), um sich in die Materie hineinzuhören und vorbereitet ins Interview mit Peter Gabriel gehen zu können.
So traf er sich im Oktober 1974 sehr privat mit Peter in dessen Heim in Bath. Vorab erzählt er von seiner Fahrt nach Bath, an einem bestimmten Hügel vorbei…
Für den Rezensenten stellt das Interview eine kleine Sensation dar. Erfahren wir doch alles…und nichts über das neue Konzeptalbum. Peter beantwortet die Fragen zu Story, Inhalt und Musik kryptisch. Er gibt kurze Hinweise, die wieder Fragen aufwerfen. Hier ein kleines, amüsantes Beispiel:
Armando: „How did you come up with the Lamb story?“
Peter: „I walked down to the railway. And I pressed my ear to the tracks, and I listened…And I heard the whole story coming through.“
So treibt es Peter noch weiter, gibt den geheimnisumwitterten, verschrobenen Sänger einer kultigen Band. Wohl wissend, dass dies bei den Italienern gut ankommt.
Wir erfahren außerdem von Peters Vaterschaft, seinem Leben mit der jungen Familie und dem neuen Zuhause auf dem Land. Dieser Einblick ins Private ist ein Zeichen für die vertrauensvolle Beziehung zwischen Armando und Peter. Natürlich werden die Songs kurz musikalisch und inhaltlich beschrieben. Armando spürt wie gut der Stoff für einen Film geeignet wäre. Peter bejaht dies und äußert den Wunsch, einen Lamb-Film machen zu wollen. Garniert wird das Interview mit Fotos von Peter in seinem Heim in Bath. Erst viel später in Armandos Peter Gabriel Buch erleben wir diese Atmosphäre wieder. 7
Reportage
Sehr persönlich berichtet Armando über seine Begegnungen mit der Band, dem Ort des Konzerts, der PA, der Lightshow, dem Publikum, der Musik und den Songs. Betitelt hat er den Bericht sehr richtig mit „Welcome to the Wonderful World of Genesis“. Ein Foto einer Magazinseite des Berichts können wir bewundern.
Hat er hauptsächlich im Shrine Auditorium fotografiert, so muss er sich dabei im Kopf Notizen für diesen Bericht gemacht haben. Er nutzte dafür auch Aufzeichnungen des Konzerts in San Diego. Wir Leserinnen und Leser nehmen teil an einer persönlichen, natürlich subjektiven Beschreibung von Erlebnissen, Gedanken und Emotionen des Autors an einem legendären Konzert der Lamb-Tour. Armando berichtet locker und humorvoll mit enormen Hintergrundwissen und seinen guten Draht zur Band nutzend. Dies hier wiederzugeben sprengt den Rahmen der Rezension.
Fakt ist, dass die Reportage ein Fundus an Schätzen der Lamb-Tour darstellt. Interessanterweise sollte das Konzert Im Shrine Auditorium Jahrzehnte später auf Tonträger offiziell veröffentlicht werden. Nicht umsonst hat Armando zur Gestaltung des Buchs des Boxsets anlässlich des 50ten Lamb-Jubiläums mit Fotos beigetragen.
Die Fotos
Armando konnte nicht mit Blitzlicht fotografieren. Er hat die Kamera immer so gehalten, dass die Ellbogen fest am Körper angelegt lagen. Das hatte eine stützende Funktion der Kamera zur Folge. Ein Stativ war hinderlich, da der Fotograf analog zur Action auf der Bühne beweglich sein wollte. Armando benutzte 160er Tungsten-Filme, die er doppelt belichtete. 8
Das hat den Effekt, dass Bilder leicht ausgebleicht wirken können. Er arbeitete mit einer Belichtungszeit 1/8 oder 1/15 Sekunde. Das muss man sich vorstellen! Die Bühnenshow war so dunkel, dass nicht einmal ein Konzertfilm dieser sensationellen Show aus Musik, Licht (Dunkelheit), Dias und kargem Bühnenaufbau, Rocktheater eben, gedreht wurde. Armando schaffte es, ganz still zu stehen, um verwackelte Aufnahmen zu vermeiden. Das ist der Grund für die herrlichen Aufnahmen der Lamien, des Slippermans u.ä. Auch für Armando waren die Ergebnisse der Entwicklung der Fotos immer wie eine Wundertüte.
Folgende grobe Struktur der Abfolge der Fotos lässt sich erstellen:
Vor der Show, Hotel, Backstagebereich
Die Lamb Show nach zeitlicher Abfolge
Portraits der Bandmitglieder während der Show
Die Zugaben
Nach den Shows, Pressefotos
Rückblick: s/w-Aufnahme von Peter aus dem Jahr 1978 „Double Exposure“
Sehr angenehm für den Betrachter/die Betrachterin ist, dass nur fünf Fotos über beide Buchseiten gedruckt wurden. Der lästige, die Sehfreude beeinträchtigende Knick/Schnitt durch das Bild wird so vermieden. Die Seitenzahlen im beiliegenden Paper lassen sich nicht leicht den Fotos im Buch zuordnen, da es dort keine gibt. Das lässt sich leicht verschmerzen, da die Fotos dadurch nicht mit Text verunziert werden.
Es sind wunderschöne Fotos voller Wärme, Farbenfreude, Tiefe entstanden. Wie hypnotisiert ziehen sie den Betrachter/die Betrachterin in ihren Bann. Sie unterstreichen, wie enorm wichtig Genesis auch die visuelle Seite der Musik war. Natürlich wirken gerade die Portraitaufnahmen durch die lange Belichtung gelegentlich pixelig, leicht unscharf und ausgebleicht. Das hat aber durchaus einen künstlerischen Reiz. So, als ob Kim Poor mit ihrem Diaphanismus am Werk war. 9
Hey, das waren die analogen Siebziger!
Der Rezensent möchte an dieser Stelle drei Fotos hervorheben:
Seite 38, Cockoo Cocoon: Peter/Rael verzweifelt, verletzlich am Bühnenrand mit freiem Oberkörper am Bühnenrand den Fotografen flehentlich anschauend.
Seite 63, The Lamia: Peter/Rael weiß gekleidet in violettem Licht kurz nachdem die Lamien ihn freigegeben haben, halb wahnsinnig mit beiden Händen seinen Kopf haltend
Rückseite des Buchs: Eine s/w-Aufnahme Peters, zerbrechlich wirkend in freiem Oberkörper backstage die Oboe spielend. Sagt, singt, spielt er ein „Goodbye“?
Ausklang
„Welcome to the Wonderful World of Genesis!“ Folgen wir Armandos Einladung. Es wird uns die herrlich subjektive Betrachtungsweise eines Fotografen in die wundervolle Welt des geheimnisvollsten, skurrilsten, romantischsten, surrealsten aller Alben und der dazugehörigen Show dieser großartigen Band präsentiert. Lassen wir die wundervolle Musik und die dazugehörigen Fotos für sich sprechen. Der Rezensent ist sich sicher, dass sich kein Mensch der Faszination des „Lamms“ entziehen kann. Welch Freude, welch Poesie strahlen diese Fotos aus.
Man kann Armando vorwerfen, dass er sich an den Hype um das 50te Jubiläum des Albums anhängt und nochmals in seinen Schubkästen gekramt hat, um ein bisschen Geld zu machen. Ja, selbst wenn, so hat er es sich verdient. Der Rezensent freut sich darüber, dass Armando uns dieses Kleinod schenkt. Es ist kein Hochglanzprodukt in Ledereinband. Das brauchen wir auch gar nicht. Der Inhalt zählt. Wir Fans werden das Buch eh wie ein rohes Ei behandeln, ehrfurchtsvoll wie den Hörgenuss des Albums.
Der Rezensent versteigert sich in der Aussage, dass Armandos Werk zu Genesis einen kulturhistorischen Wert besitzen. Es erreicht uns Fans sowieso, aber auch die Nachwelt, die nie vom Lamm, dass sich auf dem Broadway niederlässt und von Raels Reise ins Ich gehört hat, wird beschenkt. Es gilt: Unbedingt anschaffen!
Anmerkungen
1. Genesis, aus Songlyrics, The Carpet Crawlers
2. Siehe u.a. hier.
3. Siehe hier.
4. Siehe hier und hier.
5. Siehe u.a. hier.
6. Siehe u.a. hier
7. Siehe u. a. hier
8. So im Interview mit IT, siehe hier
9. Siehe hier und hier.
Remembering … The Lamb kann direkt bei Armando Gallo auf seiner Website bestellt werden.
Autor: Thomas Jesse
In Liebe für meinen Vater, 28.02.1939-02.11.2025, der meinen Musikgeschmack immer toleriert und gefördert hat.


