Vor der Küste von Cornwall, etwas nördlich der Linie von Land’s End zu den Scilly-Inseln, liegt ein Riff. Einige der sieben Felsen sind auch bei Niedrigwasser noch unter Wasser, andere ragen dann hervor. Unpraktischerweise liegt das Riff direkt auf einer Schifffahrtsroute, so dass eine große Anzahl von Schiffen dort aufgelaufen und gesunken ist. Das größte Wrack dort ist der fast 300 Meter lange Supertanker Torrey Canyon. Was hat dieses Seefahrtshindernis mit dem Stück von Genesis zu tun? Das Riff heißt „Seven Stones“. Geht die Verbindung darüber hinaus?
Ich bekam mit, wie der Alte seine Geschichte erzählte. So beginnt Seven Stones. Eine einzelne Zeile, musikalisch ein wenig abgesetzt, sie wirkt eher wie eine letzte denn eine erste Zeile. Diese leichte Abtrennung hat ihren Grund – sie gehört zur Rahmenhandlung. Der Erzähler berichtet, dass er hörte, wie der Alte seine Geschichte erzählte. Was nun folgt, ist das, was der Alte erzählt.
Er erzählt von einem Kesselflicker oder, allgemeiner, jemandem aus dem Fahrenden Volk, der von einem Unwetter überrascht wird. Seine Hoffnung auf Zuflucht vor dem schlechten Herbstwetter sinkt. Er schiebt das Laub unter einem Baum zur Seite, sieht dort sieben Steine auf dem Boden liegen – und findet dann im siebten Haus jemanden, der ihm freundlich gesonnen ist. Das wirkt auf den ersten Blick ziemlich unlogisch. Wenn ich bei Sauwetter irgendwo unterwegs bin und mich die Zuversicht verlässt, dass ich noch irgendwo eine Zuflucht finde, dann fange ich sicher nicht an, irgendwo im Wald Laub zu harken, Steine zu zählen und „dementsprechend“ Zuflucht zu finden. Warum kommt also der Kesselflicker auf diese seltsame Idee?
Spekulationsalarm: tinker ist ein altes Substantiv. Es wird kaum noch auf einen Menschen der Gegenwart angewendet. Auch der Kontext (die Geschichte des alten Mannes) deutet in die Vergangenheit, darum gebe ich es hier mit den veraltenden Worten „Kesselflicker“ und „Fahrendes Volk“ wieder. Diese Vaganten nutzten Zeichen, sogenannte Zinken, um einander Informationen über die Gegend und den Ort zu geben – zum Beispiel, wo die Bewohner freundlich gesonnen sind. Der Vagant schiebt das Laub also wohl absichtlich zur Seite; er darf unter diesem Baum ein Zeichen erwarten. Der Baum steht dann wohl auch nicht irgendwo im Wald, sondern an markanter Stelle, an einer Wegkreuzung oder in der Nähe des Ortseingangs. Zwischen den sieben Steinen dort auf der Erde und dem siebten Haus, in dem sich Hilfe findet, wird ein Zusammenhang nur angedeutet. (das siebte Haus – auf der linken Seite, auf der rechten, zählen beide Seiten, gilt die Scheune auch?).
Die Episode vom tinker wird zusammengefasst mit einem eigenartigen Satz: „Und die Veränderungen, die nicht ins Gewicht fallen, übernehmen wie aus dem Nichts die Zügel.“ Beinahe ein Paradoxon: Änderungen, die nicht ins Gewicht fallen, also eigentlich nichts ändern, übernehmen die Zügel, lenken also – und damit fällt ins Gewicht, was sich da ändert oder nicht ändert.
Der Alte erzählt eine weitere Episode von Seeleuten, die unterwegs in großer Gefahr schweben: Ohne dass sie es bemerken, steuert ihr Boot auf einen Felsen zu. Sie drohen aufzulaufen, schiffbrüchig zu werden. Eine Möwe fliegt vorbei, und der Kapitän ändert den Kurs. Warum? Das fragt er sich nicht. Wir als Hörer sollen vermuten, dass es wegen der Möwe sei. Auch diese Episode wird zusammengefasst wie die erste: „Und die Veränderungen, die nicht ins Gewicht fallen, übernehmen wie aus dem Nichts die Zügel.“
An diesem Punkt springt der Text zurück in die Rahmenhandlung. Der Ich-Erzähler aus dem allerersten Vers meldet sich und stellt dar, wie der alte Mann auf die Welt reagiert. "Verzweiflung, die die Welt ermüdet, bringt dem Alten ein Lachen. Das Lachen der Welt grämt ihn." Dann spricht uns der Erzähler an und fordert uns auf: „Glaubt ihm – die Richtschnur des Alten ist der Zufall!“
Wie um das noch einmal zu betonen, leitet der Ich-Erzähler mit denselben Worten wie am Anfang eine dritte Episode aus den Erzählungen des alten Mannes ein. Ein Bauer, der von seinem Geschäft nichts versteht und nicht einmal weiß, wann die Zeit für die Aussaat gekommen ist, befragt den alten Mann und drückt ihm – offenbar um sich die richtige Auskunft zu sichern – Geld in die Hand. Der Alte steckt das Geld ein, ohne dem Bauern eine Antwort zu geben (es sei denn, das Schulterzucken ist die Antwort), woraufhin der natürlich fuchsteufelswild wird, weil er Geld verschwendet hat. Und auch hier übernehmen die Veränderungen, die nicht ins Gewicht fallen, wie aus dem Nichts die Zügel.
Abschließend meldet sich der Ich-Erzähler noch einmal: „Verzweiflung, die die Welt ermüdet, bringt dem Alten ein Lachen. Das Lachen der Welt grämt ihn“ Mit der wiederholten Aufforderung „Glaubt ihm – die Richtschnur des Alten ist der Zufall!“ schließt das Stück.
Allen drei Episoden ist gemeinsam, dass ein Element des Zufalls im Spiel ist: Der Wanderer sieht zufällig sieben Steine auf der Erde unter dem Baum (vielleicht ist ein achter Stein noch laubbedeckt?), der Kapitän ändert den Kurs zufällig in die richtige Richtung, der Bauer könnte nur zufällig die richtige Antwort bekommen. Allen drei Episoden ist außerdem gemeinsam, dass verlässliches Wissen den Protagonisten jedenfalls besser helfen würde als die Methoden, die sie anwenden: Der Wanderer wüsste, wohin er sich wenden kann, der Kapitän wüsste von dem gefährlichen Felsen und der Bauer verstünde sein Handwerk.
Wenn sich die Leute auf unzuverlässige Hinweise und Ratschläge verlassen und dadurch zu Schaden kommen, zieht der Alte daraus eine grimmige Befriedigung. Es geschieht ihnen ja nur recht. Spott dagegen bekümmert ihn. Er selbst lässt sich vom Zufall leiten – und steht damit auf derselben Stufe wie der Wanderer, der Seemann und der Bauer: Zufällige statt informierter Entscheidungen.
So könnte man die Seven Stones lesen. Oder auch anders. Mit dem Riff vor Cornwall hat das Stück über den Titel hinaus keine Verbindung. Und übrigens wohl auch nicht zu den sieben sehenden Steinen, den palantíri, aus Tolkiens Epos vom Herrn der Ringe.
Seven Stones war ziemlich aus meiner Wahrnehmung verschwunden, obwohl ich nicht wüsste, warum. Es ist kein unglaubliches Hammerstück; mich jedenfalls überwältigt es nicht. Eher solides Mittelmaß. Acht, neun, zehn Punkte? Sagen wir: neun.