Genesis Revisited II: Welche Neuaufnahme ist Hackett besonders gelungen?

  • Die weitgehende Werktreue von Hacketts Neuaufnahmen der alten Genesis-Songs mag ich ihm nicht vorwerfen.
    Zum einen erinnere ich mich überwiegend ungern an die Visite von 1996, zum anderen war seine Motivation für dieses Album, wenn ich ihn recht verstanden habe, die Stücke mit seinen heutigen Möglichkeiten zu reanimieren, aber nicht neu zu interpretieren.
    So sind es neben des Meisters verfeinerten Fähigkeiten am Saiteninstrument vor allem die Gesangsdarbietungen, die für die neuen Akzente zuständig sind. Da bleibt für mich unter dem Strich allerdings wenig Anlaß, die Neueinspielungen den Originalen vorzuziehen.

    Was mir auffiel:
    Die neuen Gitarren-Intros von "Chamber", "Moonlit Knight" und "Blood" wie auch das Vorspiel zur "Musical Box" empfinde ich allesamt als sehr stimmig.
    Wie Hackett unerwartet in das Keyboard-Solo der "Apocalypse" hineinsägt, ist schon fulminant und erschreckt mich jedes mal aufs Neue. Es sind nur ein paar Sekunden, aber sie bedeuten mir ein kleines verstecktes Geschenk.
    Das Doppel-Solo, (falls diese Vokabel zulässig ist), von Rothery und Hackett bei "The Lamia" stellt für mich mittlerweile den instrumentalen Höhepunkt des Albums dar.
    "Musical Box" übertrifft sich in einigen Momenten selbst, die fließende Dynamik ist mitreißend, und immer wieder höre ich von Hacketts Gitarre hübsche Dinge, die ihm vor 40 Jahren noch nicht eingefallen waren oder zu denen er damals nicht in der Lage war - aber Nad Sylvan ruiniert es.
    Auch zeigen sich hier m.E. hin und wieder die etwas limitierten Fähigkeiten des Schlagzeugers.
    "Blood On The Rooftops" gewinnt durch das Sax eine interessante Facette, aber Gary O Tooles Stimme ist leider weit davon entfernt, einen ähnlichen Zauber wie Collins zu verbreiten.

    Am stimmigsten wirkt auf mich "Can-Utility". Der Song war und ist superb, aber jetzt hat er noch mehr Druck, der Sound ist satter geworden, und Wilson erledigt seinen Job so unauffällig, gefühlvoll und gekonnt, daß man Gabriel nicht zwangsläufig vermissen muß.

    Überraschenderweise haben mich dennoch am Ende seine eigenen Songs am meisten überzeugt, auch wenn ich auf die zunächst am wenigsten neugierig war.
    Wie andere schon festgestellt haben, geht Hackett hier mutiger zu Werke, und das hat zumindest diese drei zu meinen Favoriten gemacht:

    "A Tower Struck Down" war mir immer etwas zu schwerfällig und grobschlächtig um es wirklich zu mögen, in dieser Version aber mit den vielen kleinen Effekten und Hacketts geradezu durchgeknalltem Solo entwickelt es bedrohliche Qualitäten und wird zur erbarmungslosen Soundwalze. Auch hat man diesmal dankenswerterweise auf das "Sieg Heil"-Sample verzichtet.

    "Camino Royal" habe ich ebenfalls früher nur halbherzig gehört, jetzt federt und flirrt das verspielt mit ungewohntem Jazz-Appeal daher und sorgt kurz vor Schluß des Albums für eine unerwartet leichte Note.
    Auch die Robert Wyatt-Gedächtnis-Vocals von Hackett gehen irgendwie in Ordnung.
    Wenn er seine ungarischen Freunde mit auf Tour nehmen würde, könnte das vielleicht für ein paar unkonventionelle Arrangements sorgen. Ist aber wohl eher unwahrscheinlich.

    "Shadow Of The Hierophant" ist ein feines Finale. Amanda Lehmann, die mir nach anfänglicher Irritation auch bei "Ripples" gefällt, macht das sehr schön (und wirkt streckenweise wie eine Reinkarnation von Sally Oldfield, aber etwas wärmer), und der Song, der eigentlich ein prototypisches leicht angestaubtes 70er Gestein ist, kann sich im renovierten glasklaren Gewand wieder hören lassen. Dem Schlußteil hätte eine Kürzung mal ganz gut getan, aber das sieht Hackett, der das Ding auch schon mal auf 17 Minuten aufzublähen beliebte, sicher ganz anders.

    Für mich steht und fällt das Projekt mit dem Gesang, von dem ich das Hörerlebnis unmöglich zu entkoppeln in der Lage bin. Von daher bleibt die Platte für mich - wie an anderer Stelle kundgetan - ein durchwachsenes Vergnügen, der ich aber musikalisch als auch produktionstechnisch einige sehr schöne Seiten abgewinnen kann. Diese und die erwähnten Solo-Nummern versöhnen am Ende einigermaßen und machen neugierig auf das Konzert.

    Die Vorab-Besprechung zum Album droht vielleicht im Angesicht der monumentalen "Seconds Out"-Rezension etwas unterzugehen, aber ich möchte nicht versäumen, den drei Haus-Kritikern für ihre ausführliche Arbeit und die intensiven Eindrücke zu danken, die mir ein paar Blicke geöffnet haben ohne mich vom eigenen Erlebnis abzuhalten.
    Und auch das nochmals: War eine tolle, stets aktualisierte Berichterstattung von den ersten durchgesickerten Nachrichten bis zum fertigen Album. Früher hätte ich sowas wahrscheinlich frühestens am Erscheinungstag mitgekriegt.

  • Mal wieder eine dieser "unbeantwortbaren Umfragen". Ich finde das komplette Album zum Niederknien. Für die Sänger gibt es ja ne extra Umfrage, von daher äußere ich mich mal nur zum Sound. Diesen finde ich Anbetracht der "mächtigen" Produktionstechnik heute adäquat bombastisch. Es geht hier nunmal um die Juwelen der 70er und seinerzeit konnte diese "mächtige" Musik in meinen Ohren nicht in voller Pracht auf (Studio)Vinyl gelangen - Stichwort "Cardboard Box". Daran kann auch ein Remaster nur bedingt etwas ändern, ein Revisit schon!


    Steve hat selbst in diversen Interviews gesagt, dass ein Kriterium der Songauswahl war, in welchen Songs die Gitarre besonders relevant war/ist und man es in dieser Richtung heutzutage richtig krachen lassen könnte. Für mich ist das besonders (aber nicht nur) in den von mir gewählten "Brocken", Supper's Ready (Ende!), The Musical Box (Solo!) und Dancing With The Moonlit Knight (Tapping!), gelungen.


    Die Neuaufnahmen seiner Solostücke fallen für mich in eine extra Kategorie. Am meisten überzeugt mich dabei Camino Royale. Ansonsten gefallen mir alle Verfeinerungen wie neue Gitarrenintros oder Saxofoneinlagen durch die Bank gut.


    Nicht angeklickt aber sicher noch eine Erwähnung wert, sind für mich die Tracks, die bei Genesis auf Alben gelandet sind, wo sie im Kontext anderer Kultstücke stehen, die drohen andere zu überschatten. Auf Steves Werkschau stehen sie aber u.U. isolierter und konnten neue Begeisterung und vermutlich sogar mehr Begeisterung als die Originale wecken. Meine Favoriten in dieser Kategorie sind Can-Utility And The Coastliners und The Lamia.