Grosses Interview in DIE ZEIT

  • DIE ZEIT: Mr. Collins, wer nennt Sie eigentlich noch Philip?
    Phil Collins: Für meine Mutter bin ich immer Philip geblieben. Zuletzt gab es noch eine Freundin, die mich Philip nannte. Aber nur, weil ich darauf bestand. Als ich die vor zehn Jahren kennenlernte, sagte ich ihr: Ich will weg von meinem alten Ich. Ich hatte die Schnauze voll davon, »Phil« Collins zu sein.
    ZEIT: Was war das Problem mit Phil?
    Collins: Mich nervte damals alles an Phils Karriere. Ich fühlte mich gefangen und wollte nur noch meine Ruhe außerhalb der Öffentlichkeit. Alles, was dieser Phil Collins tat, schien mit Ärger verbunden zu sein. Also wollte ich wieder der sein, der ich vor meiner Musikkarriere mal war: Philip Collins.

    Sehen und hören Sie hier Genesis mit I Can't Dance
    ZEIT: Hat nicht geklappt, oder?
    Collins: Bedingt. Phil zur Ruhe zu setzen war ungefähr so einfach, wie einen gewaltigen Öltanker zur Vollbremsung zu bringen: Es brauchte viel Zeit. Das begann damit, dass ich vielen Menschen in meiner Umgebung klarmachen musste, dass es mir ernst ist mit dem Ruhestand. Dann zog ich mich tatsächlich zurück, um mehr Zeit mit meinen Kindern zu verbringen. Aber dann zerbrach meine Familie.
    ZEIT: 2008 ließen Sie und Ihre dritte Frau, eine Schweizerin, sich scheiden.
    Collins: Überhaupt ging viel schief damals. Es ist toll, populär zu sein, und ich bin dankbar für mein Publikum, aber man zahlt einen hohen Preis. Das dämmerte mir, als ich anfing, mehr zu trinken, als mir guttat. Ich trank aus Frust sogar so viel, dass ich beinahe daran gestorben wäre.
    ZEIT: Sie wären beinahe gestorben?
    Phil Collins
    1995 schimpfte Nick Hornby in seinem Poproman High Fidelity: Mit einer Frau, die Phil Collins höre, könne man keine Beziehung führen. Spätestens seitdem galt Collins unter allen Musik-Nerds als der König des Uncoolen und der Prototyp des seichten Popmusikers, den alle Vorstadtväter lieben. Eine große Zielgruppe: Der 1951 geborene Londoner Collins hat als Solokünstler über 150 Millionen Platten verkauft – nachdem er mit seiner Band Genesis bereits zum Weltstar geworden war. Collins stieß 1970 zur Band, zunächst als Drummer, dann ersetzte er Peter Gabriel als Leadsänger. 2000 gewann er mit dem Song You’ll Be in My Heart aus dem Soundtrack für den Disney-Film Tarzan einen Oscar. 2006 ging er erstmals seit 15 Jahren wieder zusammen mit Genesis auf Tour. Collins hat fünf Kinder aus drei Ehen und lebt heute am Genfer See in der Schweiz.
    Collins: Ja, ich sage das nur so locker daher, weil ich es bis heute eigentlich so gut es geht vermieden habe, mich damit zu beschäftigen. Meine Frau war mit unseren kleinen Söhnen nach Miami gezogen, und ich saß als Vorruheständler allein in der Schweiz mit viel zu viel Zeit. Wer schon mal länger allein und schwermütig vor dem Fernseher gesessen hat, weiß, dass Alkohol in so einer Situation verlockend sein kann. Man fängt langsam an und steigert die Dosis beständig.
    ZEIT: Man würde ja denken, die Gefahr des Alkoholismus besteht für einen Musiker eher während seiner aktiven Zeit, nicht im Ruhestand.
    Collins: Als ich noch arbeitete, habe ich nie getrunken. Und ich habe früher sehr viel gearbeitet. Ich ging früh ins Bett, damit meine Stimme am nächsten Tag wieder fit ist. Aber ohne Arbeit? Und ohne Familie? Da muss man keine Rücksicht mehr nehmen. Und schwupps, macht man die nächste Flasche auf. Ich sah mich damals auch nicht als Alkoholiker, sondern nur als traurigen Mann, der zu viel trank. Mein Arzt sagte mir dann irgendwann, dass mich der Alkohol bald umbringen würde.
    ZEIT: Hat Ihnen vorher keiner in Ihrem privaten Umfeld gesteckt, dass Sie es übertreiben?
    Collins: Doch, meine Freundin und das Kindermädchen meiner jungen Söhne. Aber erst, als mein Arzt mir ins Gewissen redete, bekam ich einen Schreck. Aber das ist alles lange her. Jetzt geht es mir fantastisch. Fantastisch. Ich musste dafür allerdings einige Anläufe nehmen. Seit drei Jahren bin ich jetzt trocken. Gut, ab und zu genehmige ich mir mal ein alkoholfreies Bier. Mehr nicht! Ich hoffe, ich nerve Sie nicht mit meinen privaten Turbulenzen, aber ich finde wirklich, dass bei meinem Beruf auch das Private Teil des öffentlichen Bildes ist.
    ZEIT: Es ist gar nicht lange her, da galten Sie noch als Inbegriff des uncoolen Musikers. In der letzten Zeit hat sich der Wind erstaunlich gedreht. Neuerdings sagen hippe junge Kollegen wie Lorde oder Florence and the Machine, wie sehr sie von Ihnen beeinflusst wurden. Selbst Rap- und R ’n’ B-Stars wie Kanye West oder Beyoncé preisen Ihre Arbeit. Wie konnte das passieren?
    Collins: Ich wurde von Freunden darauf aufmerksam gemacht, dass sich die Dinge ändern, was meinen Ruf angeht. Man hat mir zum Beispiel einige freundliche Rezensionen zugemailt, die mir sonst entgangen wären. Und haben Sie diesen Hollywood-Film The Hangover gesehen? Da singt Mike Tyson In the Air Tonight. Das ist doch unglaublich. Als mir das ein Freund auf YouTube vorspielte, war ich tatsächlich verblüfft. Dann war im Guardian neulich sogar zu lesen, dass ich neuerdings ein »Vater der Popkultur« bin. Herrlich, oder? Aber dann schauen Sie sich im Internet mal die wütenden Kommentare unter solch freundlichen Texten an: Da ist »Fuck Phil Collins« noch harmlos. Auf einen Kommentator, der »Hey, ich mag Phil Collins« schreibt, kommen dreitausend, die pöbeln: »Der alte Wichser soll endlich Ruhe geben!« Aber mit solchen Beschimpfungen lebe ich nun schon so lange, dass sie mich nicht mehr beeindrucken. Was soll ich sagen: Zuletzt kam ich oft ziemlich gut weg. Ich bin jetzt wohl offiziell ein Elder Statesman des Pop.

    Sehen und hören Sie hier Phil Collins mit One More Night
    ZEIT: Muss man für diese Ehre nur lange genug in der Popbranche durchhalten?
    Collins: Ja, auch. Mir war aber ehrlich gesagt immer klar: Selbst ich werde irgendwann cool. So ist es vor mir ja bereits Eric Clapton und Elton John ergangen. Die sind ebenso jahrelang beschimpft worden. Man muss sich dann ein dickes Fell zulegen und Geduld haben, und eines Tages ist man auch cool. Irgendwann sagen die Ersten: Moment mal: Phil Collins war schon nicht so schlecht, oder? Dann merkt auch ein größeres Publikum, dass es beim Songwriting nicht um Coolness geht, sondern allein darum, ob die Melodie einen packt und der Text dich vielleicht berührt. Und ein paar meiner Songs sind eben nicht so schlecht. Es hatte ja schon seine Gründe, dass ich mal ganz erfolgreich war. Trotzdem, ich bin ja nicht blöd: Ich gehe immer noch sehr vielen Leuten auf die Nerven. Das ist eben so. Die hören diese vier Songs, die für meine Solokarriere stehen – One More Night, Against All Odds, In the Air Tonight, You Can’t Hurry Love – und sie kotzen.
    ZEIT: Viele Attacken auf Sie gingen unter die Gürtellinie. Der Britpopper Noel Gallagher hat Sie unter anderem als den »Anti-Christ« bezeichnet und »den Glatzkopf, den die Leute hassen«. Haben Sie solche Anfeindungen nie verletzt?
    Collins: Man wundert sich nur, was man Leuten wie Noel Gallagher angetan haben könnte, um so viel Hass heraufzubeschwören. Neulich traf ich einen befreundeten Journalisten, der Noel Gallagher auch auf das Thema angesprochen hatte. Dem erzählte Noel peinlich berührt, dass er etwas geraucht hatte, als er das über mich sagte. Er hatte von dem Zeug angeblich Visionen, in denen ich als Anti-Christ auf die Erde komme. Und das sei doch alles nur ein Späßchen gewesen! Er habe rein gar nichts gegen Phil Collins.
    ZEIT: Auch die junge britische Sängerin Adele, selbst inzwischen ein großer Popstar, scheint ein Fan von Ihnen zu sein. Angeblich haben Sie an ihrem neuen Album mitgearbeitet. Stimmt das?
    Collins: Ja und nein. Adele bat um ein Treffen, und ich muss gestehen, dass ich gar nicht wusste, wer sie ist.
    ZEIT: Sie wussten nicht, wer Adele ist?
    Collins: Nein! Ich höre kein Radio, und mein Interesse an aktueller Musik ist überschaubar. Ich habe meine Freundin gefragt: »Adele?« Und die war fassungslos! Sie hat mir dann beide Adele-Alben gekauft. Ich habe mir die angehört, und mir ist schnell klar geworden, wie gut sie ist.
    ZEIT: Und was ist aus der Zusammenarbeit dann geworden?
    Collins: Wir haben uns in einem Hotel getroffen, es hat sich aber angefühlt, als würde ich bei ihr vorsprechen. Die Stimmung war merkwürdig. Ich glaube, sie hatte keine Ahnung, wie alt ich bin, und war verblüfft. Sie hat mir dann ein Demotape geschickt und ich ihr eine Song-Idee von mir. Nett, hat sie gesagt. Aber es blieb unklar, ob ihr das nun gefällt oder nicht. Dann überarbeitete ich drei Monate lang ihr Demo. Danach hörte ich ewig nichts von ihr. Irgendwann schrieb ich ihr eine Mail: »Wer wartet jetzt auf wen? Du auf mehr von mir? Oder ich auf eine Reaktion von dir? Haaalllooooo?« Sie schrieb dann, dass sie nach L.A. gezogen sei und ein Kind bekommen habe und dass ihr überhaupt alles zu stressig sei.



    Im Januar erscheinen Phil Collins’ Solo-Alben »Face Value« und »Both Sides« (Warner) in einer Neuauflage



    ZEIT: Was für eine seltsame Geschichte.
    Collins: Ja. Aber ehrlich gesagt, wenn ich sie wäre und so um die 15 Milliarden Platten verkauft hätte, wäre ich auch sehr vorsichtig, was meine Karriere angeht.
    ZEIT: Als Schlagzeuger haben Sie nebenher für so unterschiedliche Musiker wie Brian Eno, Robert Plant und Tears For Fears gespielt. Gibt es da einen Phil-Collins-Style am Schlagzeug?
    Collins: Nein, ich passe mich immer an. Es gibt viele Schlagzeuger, die ich an ihrem Stil erkenne. Ich bin dagegen eine Art Chamäleon. Für mich hat das aber immer funktioniert. Bevor ich mit eigener Musik erfolgreich war, kam ich gut als Session-Musiker über die Runden. Dafür muss man aber in der Lage sein, sich auf sehr unterschiedliche Stile anzupassen. Auch bei Genesis waren immer sehr unterschiedliche Stile gefragt, das passte gut zu mir.
    ZEIT: Sie waren fünf, als Sie Ihr erstes Schlagzeug bekamen. Öffnete sich Ihnen da eine neue Welt, oder ist das nur ein Klischee?
    Collins: Tut mir leid, aber ja, das ist leider nur ein Klischee. Ich komme aus einer Familie, in der Musik keine Rolle spielte. Mein erstes Schlagzeug ließ mich relativ kalt. Es war halt nur ein Spielzeug, um Krach zu machen. Das war Mitte der fünfziger Jahre, und es war nicht cool, Schlagzeug zu spielen. Was mich aber wirklich beeindruckt hat: zum ersten Mal die Beatles im Fernsehen zu erleben. Please Please Me. Danach wollte ich Ringo sein, und ich wollte lange Haare. Mein Lieblingsbeatle war trotzdem immer George Harrison, der war so scheu wie ich.
    ZEIT: Auf Ihren Soloplatten haben Sie trotzdem ziemlich öffentlich Ihre gescheiterten Beziehungen verarbeitet. Hätte es Ihre Solokarriere nicht gegeben, wenn Ihr Liebesleben harmonischer verlaufen wäre?
    Collins: Ha! Ich sehe schon Ihre Schlagzeile: Hätte Phil Collins eine lange, glückliche Beziehung gehabt, wären uns seine Soloplatten erspart geblieben. Das ist Ihr Plan? Oder? Okay, im Ernst: Der einzige Grund für meine erste Soloplatte war tatsächlich meine zertrümmerte erste Ehe. Damals wollte ich Genesis verlassen, um die Beziehung zu retten. Kurz war ich auch raus aus der Band. Als ich zurückkam, war mein Privatleben immer noch ein Scherbenhaufen, und die anderen hatten bereits mit der Arbeit am nächsten Genesis-Album begonnen. Also zog ich mich allein in mein Haus zurück und schrieb Songs über meine kaputte Ehe. Daraus wurde dann Face Value, mein erstes Soloalbum. Wäre meine Beziehung glücklicher gewesen, hätte ich eher eine instrumentale Jazz-Platte veröffentlicht. Und viel mehr wäre nicht passiert.
    ZEIT: Haben Sie Ihren Ruhestand jetzt eigentlich offiziell beendet?
    Collins: Schwierige Frage. Im vergangenen September habe ich drei Wochen lang mit meiner Band geübt. Am Schlagzeug saß Jason Bonham. Ich habe nur gesungen. Aber dann wurde ich mittendrin krank und musste alles abbrechen. Ich habe auch gemerkt, wie sehr es mich mittlerweile langweilt, meine Hits wie Against All Odds zu singen ...
    ZEIT: Ihre eigenen Hits gehen Ihnen auf die Nerven?
    Collins: (schweigt lange) Stellen Sie sich mal vor: Es sind nicht nur Kritiker, denen manche meiner allgegenwärtigen Bestseller längst aus dem Hals heraushängen! Wie oft kann man einen Song wie Against All Odds singen, bis er einen nervt? Ja, vor manchen Auftritten habe ich zuletzt einen Blick auf die Setlist geworfen und mich gefragt, ob ich das wirklich alles noch singen will. Ja, ja, es sind gute Songs, und vielen Menschen bedeuten sie etwas. Aber trotzdem ist irgendwann der Punkt in einer Karriere erreicht, an dem man sich entscheiden muss, wie oft man die gleichen Songs wieder aufwärmen mag. Eine sehr komplexe Frage. Billy Joel macht gerade dieses spannende Langzeit-Experiment: Seit Anfang des vergangenen Jahres tritt er einmal im Monat im New Yorker Madison Square Garden auf. Und die Frage ist doch, wer zuerst das Interesse verliert: er oder seine Fans? Eine faszinierende Idee, so etwas Ähnliches könnte ich mir auch vorstellen.
    ZEIT: Aber angeblich können Sie doch gar nicht mehr Schlagzeug spielen, weil Ihre Gelenke nicht mehr mitmachen, oder?
    Collins: Schwierig. Auf der Genesis-Reunion-Tour 2007 bekam ich Probleme und habe seitdem sehr viele Ärzte konsultiert. Ich hatte es mit den wilden Soloeinlagen am Ende der Show wohl etwas übertrieben. Damals wollte ich noch mal jung sein und wurde mit jedem Abend schneller. Aber ich bin eben nicht mehr jung, und dann machte mein Körper nicht mehr mit. Mein Nacken blockierte und meine Hände waren stillgelegt. Es gab zwar nicht diesen einen Moment, in dem ich »Au!« schrie und alles vorbei war. Aber ich habe gemerkt, dass ich stetig weniger hinbekam. Es dämmerte mir dann, dass ich ein Problem habe. Ich versuchte alles: größere Drumsticks, längere Drumsticks – nutzte alles nichts. Den Genesis-Song Los Endos bekam ich eines Abends am Ende der Tour nicht mehr hin. Ich wurde dann geröntgt, und man entdeckte, dass mein Nacken überlastet war. Ich wurde operiert, was überhaupt nichts brachte. Es folgten mehr Ärzte und weitere Operationen. Es wurde dann zwar etwas besser, aber nicht gut. Die beiden Finger, die beim Schlagzeugspielen für die Balance sorgen, funktionieren nach wie vor nicht.
    ZEIT: Das heißt, Sie sind für immer raus?
    Collins: Nein! Ich habe nur meine Ansprüche zwangsläufig etwas herabgesetzt. Und seien wir ehrlich, die wenigsten Menschen würden merken, dass mein Spiel eingeschränkt ist.
    ZEIT: Also legen Sie bald wieder los?
    Collins: Wenn mich mein Publikum zurückwill, dann werde ich mich nicht wehren. Und natürlich ist da noch ein Publikum für diesen »Phil« Collins. Inzwischen habe ich mich ja auch wieder mit Phil Collins versöhnt.

  • Wow! Das gefällt mir.
    Hört sich ganz anders an, als der andere Schmarrn den man lesen konnte.

    Zy
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    "The music is the true currency. It's more valuable than the accolades or the money. The relationship is with the invisible muse and you know if she's pleased or if she ain't." - Steve Hackett

    • Offizieller Beitrag

    Wow! Das gefällt mir.
    Hört sich ganz anders an, als der andere Schmarrn den man lesen konnte.


    Stimmt. Auch wenn hier ebenfalls teilweise der übliche Quatsch gefragt wird - aber das gehört wohl dazu. Das meiste klingt vernünftig recherchiert, gut gefragt und vor allem auch relativ aktuell. Und seine Aussagen machen tatsächlich Hoffnung. :)