Von Peter Gabriel verfasster Artikel in der Süddeutschen

  • Ein Artikel über Gehirnscanner in der Süddeutschen. Autor ist Peter. Zukunft - Das Zeitalter des sichtbaren Denkens - Kultur - Süddeutsche.de


    Ich muss es so deutlich sagen: Peter Gabriels Haltung befremdet mich!


    Das ist nicht erst seit diesem Artikel der Fall. Schon der vor einiger Zeit von ihm befürwortete Ansatz, möglichst viele Kameras an die Menschen zu verteilen, damit auf diese Weise Unrecht besser dokumentiert werden kann, führt nicht zu einer besseren und freieren Gesellschaft, sondern in letzter Konsequenz zu völliger Überwachung und Unfreiheit. Ich verweise an dieser Stelle einmal mehr auf das von mir sehr geschätzte Buch THE CIRCLE von Dave Eggers.


    Nun geht es also noch einen Schritt weiter. Nicht nur das sichtbare Handeln der Menschen soll möglichst umfassend erfasst werden, sondern auch seine Gedanken sollen für alle sichtbar sein. Das ist der finale Schritt zum gläsernen Menschen. Was für ein Horrorszenario!


    Nun mag es tatsächlich so sein, dass es irgendwann einmal so kommen wird, wobei ich Gabriel widersprechen möchte, dass diese Revolution schon "bald" bevorsteht. Nein, glücklicherweise - oder zumindest HOFFENTLICH - muss ich das wahrscheinlich nicht mehr erleben.


    Was ich aber regelrecht gefährlich finde, ist die unglaublich naive und technikgläubige Herangehensweise von Gabriel. Er beschreibt, wie ihn die Vorstellung vom Gedankenlesen "fasziniert", spricht vom "enormen Nutzen" dieser Technik, erwähnt die Risiken so gut wie gar nicht und scheint sich regelrecht auf den Tag zu freuen, an dem die Nutzung dieser Technik möglich wird.


    Diese Haltung ist nicht nur äußerst einseitig, sie steht in krassem Widerspruch zu einem Peter Gabriel, der sich immer für Menschenrechte und Demokratie stark gemacht. Wie aber soll das Lesen von Gedanken mit unseren Grundrechten vereinbar sein? Meinungsfreiheit bedeutet eben nicht nur, eine Meinung frei äußern zu dürfen, sondern eben auch das Gegenteil, etwas NICHT zu sagen und für sich zu behalten. Zum Menschsein gehört die Freiheit der Gedanken. Der vollkommen gläserne Mensch passt in keine freie Gesellschaft, er wird unter Anpassungsdruck und Gleichschaltungszwängen leiden. Die sich daraus ergebende Gesellschaft ähnelt dann eher einer Diktatur als einer Demokratie.


    Wenn Gabriel konstatiert, dass "die ganze Langsamkeit, in der wir es uns so bequem gemacht haben", der Vergangenheit angehören wird, erkenne ich die Welt von heute nicht wieder. Meines Erachtens brauchen wir schon heute eine Entschleunigung unseres Lebens und keine weitere Beschleunigung.


    Aber vielleicht schließt er ja auch nur von sich auf andere. Denn mit Langsamkeit, da kennt er sich in der Tat aus...

    But we never leave the past behind, we just accumulate...

    "Von jedem Tag will ich was haben

    Was ich nicht vergesse

    Ein Lachen, ein Sieg, eine Träne

    Ein Schlag in die Fresse"

    • Offizieller Beitrag

    Lieber Mutzel,



    man muss nicht ständig auf den Empörungs-Button klicken.




    Die "unglaublich naive und technikgläubige Herangehensweise", die du Gabriel attestierst, finde ich in dem Artikel nicht wieder. Vielleicht lesen wir den Artikel mal gemeinsam?



    Erstmal beobachten wir, dass Gabriel davon spricht, dass diese Technologie Potenziale hat. Das heißt vorderhand nichts weiter als: "Mit dieser Technologie können viele Dinge getan werden, die vorher nicht gemacht werden konnten."
    (Klammer auf: Ich halte es für wahrscheinlich, dass Gabriel vom Standpunkt des Künstlers aus fasziniert ist von den Möglichkeiten der neuen Technologie, und das kann ich gut nachvollziehen, denn neue Wege, sich auszudrücken, waren immer schon faszinierend für Künstler. Klammer zu.)


    Gabriel weiß und sieht aber auch, wie im Artikel deutlich wird, dass das Potenzial zum Guten und auch zum Schlechten eingesetzt werden kann. Ich zitiere beispielsweise seine Überlegung:

    Zitat von Peter Gabriel in der SZ

    Was wohl in den Köpfen der Pioniere der Gehirnscanner-Forschung vorgeht? Es muss ein wilder Oppenheimer-Cocktail aus freudiger Erregung und Furcht über die Möglichkeiten und Gefahren ihrer Entdeckungen sein.

    Mit Oppenheimer ist übrigens nicht die Bank gemeint, sondern der so genannte "Vater der Atombombe" J.Robert Oppenheimer, und das zeigt, wie groß Gabriel die Gefahr einschätzt, dass diese neue Technologie auch zum Schlechten verwendet wird: Von Oppenheimer wird überliefert, dass er nach Zündung der ersten Atombombe sagte: "Jetzt bin ich der Tod geworden, Zerstörer der Welten." Wenn Gabriel hier auf Oppenheimer anspielt, dann ganz sicher auch auf diesen Satz. Daher auch die angesprochene Furcht der Entwickler selber. Wie Du "Furcht" mit "naiver, technikgläubiger Herangehensweise" zusammenbringen kannst, weißt vielleicht du. Ich kann es nicht nachvollziehen.




    Ganz eindeutig stellt Gabriel heraus, dass es Chancen und Risiken gibt (die Hervorhebung stammt von mir):


    Zitat von Peter Gabriel in der SZ

    Es heißt, dass ein großer Konzern seine Forschung schon wieder eingestellt habe, weil ihm das negative Potenzial der Technologie zu groß erscheint und er Diskussion darüber scheut, inwieweit sie die Privatsphäre verletzt. Zweifellos wird der Gehirnscanner unseren Alltag und unser Zusammenleben verändern, im Guten wie im Schlechten.



    Letztlich zeigt der Artikel Gabriels Bewusstsein, dass es diese Technologie gibt, und das, was einmal erfunden ist, auch benutzt wird (seit Dürrenmatts Die Physiker ist das ja kein neuer Gedanke) - also, folgert er, können wir jetzt darüber jammern, oder wir können anfangen, uns zu überlegen, wie wir damit umgehen. Inklusive beispielsweise der Überlegung, ob und inwiefern Beschränkungen eingezogen werden sollen.



    Alle Peter Gabriel zugeschriebenen Zitate stammen ohne Änderungen aus dem hier veröffentlichten Artikel: Zukunft - Das Zeitalter des sichtbaren Denkens - Kultur - Süddeutsche.de



    Nachtrag Gsee: Danke, dass du uns auf den Artikel aufmerksam gemacht hast!

  • Für mich liest sich Gabriels Text nicht wie eine neutrale Bestandsaufnahme, in der Vor- und Nachteile einer neuen Technologie behutsam gegeneinander abgewogen werden. Ich finde, es wird ziemlich deutlich, dass er dieser Technik sehr aufgeschlossen gegenüber steht.


    Alleine schon der Einstieg: "Mich hat 2015 die Nachricht fasziniert, dass Gehirnscanner für den Hausgebrauch entwickelt werden". Faszination ist doch ein deutlich positiv besetzter Begriff. Was einen fasziniert, hat Charme und Anziehungskraft. Hätte ich von Gehirnscannern für den Hausgebrauch gelesen, es hätte mich irritiert, verstört, befremdet. Bestenfalls - wenn es ich es nicht ernst nehme - belustigt.


    Dann Sätze wie dieser hier: "Aber der Nutzen ist so enorm, dass die Realisierung unvermeidlich ist."


    Er schreibt eben nicht z.B: Die Gefahren sind so enorm, dass eine Verhinderung dieser Technik wünschenswert ist.


    Die Risiken werden von ihm - wenn überhaupt - nur sehr vage angedeutet, Nutzungsmöglichkeiten hingegen wesentlich ausführlicher ausgebreitet.


    Und "wem das nicht behagt, der wird sich künftig schwer tun". Das könnte man auch lapidar mit "Wer diesen technischen Wandel nicht befürwortet, der hat eben Pech gehabt" übersetzen.


    Solche fast schon neoliberalen Statements erwarte ich vielleicht von einem Konzernchef, aber doch nicht von einem Mann, der stets auch die Stimme für die Schwachen und Entrechteten erhoben hat.


    Die Alternative, wegen der Risiken (die ich in meinem ersten Post dargestellt hatte) auf eine solche Technik zu verzichten, existiert für ihn anscheinend nicht. Dabei wäre das die viel zentralere ethische Fragestellung, gerade für einen Künstler.


    Eben nicht: Was können wir mit einer solchen Technik Tolles machen?


    Sondern: Können wir es in Anbetracht des Missbrauchspotentials verantworten, eine solche Technik überhaupt zu nutzen?


    Oder: Was müssen wir juristisch/politisch etc. tun, damit eine solche Technik nicht missbräuchlich verwendet wird?


    Auf diese wichtigen Fragen gibt es von Gabriel keine Antwort.


    Oder doch? "Vielleicht müssen wir uns bald Kurse ausdenken, in denen uns beigebracht wird, wie wir mit unserer neuen Offenheit zurechtkommen." Das klingt dann in meinen Ohren schon wieder unfreiwillig komisch.


    Alles in allem ist Gabriels Haltung gegenüber dieser Technologie für mich ziemlich einseitig. Und die Welt, in der er gerne einmal leben würde, ist nicht die Welt, so wie ich sie mir wünsche.


    Mehr wollte ich eigentlich mit meinem Beitrag gar nicht deutlich machen. Und mehr werde ich hierzu auch nicht schreiben.


    Ergänzend: http://sz-magazin.sueddeutsche.de/texte/anzeigen/35785/

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    2 Mal editiert, zuletzt von mutzelkönig ()

    • Offizieller Beitrag

    Du verstehst nicht, dass diese Technologie auf einen Künstler aufregend und faszinierend wirken kann? Ich schon. Und zwar, ohne dass es mit naiver Technikgläubigkeit zu tun hätte.


    Zitat

    Die Alternative, wegen der Risiken (die ich in meinem ersten Post dargestellt hatte) auf eine solche Technik zu verzichten, existiert für ihn anscheinend nicht.


    Natürlich besteht die Alternative nicht. Ich finde es naiv zu glauben, dass es die Alternative gäbe, Gehirnscanner nicht einzusetzen, wenn es sie mal serienreif geben sollte.


    Was technologisch gemacht werden kann, wird auch gemacht werden, und zwar von allen. Siehe, beispielsweise, Buchdruck. Es sei denn, das Ganze wird für so gefährlich gehalten, dass es verboten wird. Was erfahrungsgemäß bedeutet, dass nur bestimmte Leute das haben und/oder benutzen dürfen. Siehe, beispielsweise, Atombombe, deren Besitz auf wenige Staaten beschränkt sein sollte und deren Nicht-Weiterverbreitung offenkundig auch nicht funktioniert. Oder die Big-Data-Fischerei und -Auswerterei, die Unternehmen wie Google schon binnen weniger Jahre viel mehr Macht geben wird als jedweder Staat und jedwede Regierung heute hat (Und die Schätzung "binnen weniger Jahre" halte ich für optimistisch; da du The Circle kennst, weißt du, was ich meine).


    Ich glaube, dass Gabriel so sehr offenen Auges durchs Leben geht, dass ihm da klar ist. Und auch wenn du es nicht zur Kenntnis nehmen willst, er spricht die negativen, bedrohlichen Seiten dieser Technologie an.



    ps. Dass du Witness in die Nähe von Überwachungsstaaten rückst, finde ich angesichts der Zielsetzungen des Projektes vollkommen grotesk. Hast du das hier mal nachgelesen:

    Zitat von Witness Projekt Website

    WITNESS trains and supports activists and citizens around the world to use video safely, ethically, and effectively to expose human rights abuse and fight for human rights change.
    The majority of the world’s population now has a camera in their pocket. People everywhere are turning to video to document and tell stories of abuse. But all too often, they are not filming safely or effectively, and their videos don’t make a difference.
    We identify critical situations and teach those affected by them the basics of video production, safe and ethical filming techniques, and advocacy strategies.

    WITNESS bildet Aktivisten und Bürger überall auf der Welt aus und unterstützt sie darin, Videoaufnahmen sicher, ethisch verantwortungsvollen und effektiv einzusetzen, um Menschenrechtsverletzungen öffentlich zu machen und für die bessere Wahrung von Menschenrechten zu kämpfen.
    Die meisten Menschen haben heutzutage eine Kamera bei sich. Überall nutzen Menschen Videoaufnahmen, um Misshandlungen zu dokumentieren und davon zu berichten. Aber nur zu oft begeben sie sich dabei in Gefahr oder filmen nicht effektiv, sodass ihre Videos nichts bewirken.
    Wir zeigen kritische Situationen auf und unterweisen Menschen in solchen Situationen in den Grundlagen der Videoproduktion, in sicheren und ethisch verantwortungsvollen Filmtechniken und in der Wahrnehmung ihrer Interessen.(eigene Übersetzung)


    Quelle: https://witness.org/about/

  • Gehirnscanner? Da habe ich für mich keine Bedenken denn:
    "Wie kann ich wissen, was ich denke, bevor ich höre, was ich sage?"
    Edward Morgan Forster


    Spaß beiseite - dieser Satz von Gabriel bringt so ziemlich den zu erwartenden
    Umgang mit den Thema für mich auf den Punkt:
    "Wem das nicht behagt, der wird sich künftig schwertun. Vielleicht müssen wir
    uns bald Kurse ausdenken, in denen uns beigebracht wird, wie wir mit unserer
    neuen Offenheit zurechtkommen."


  • ps. Dass du Witness in die Nähe von Überwachungsstaaten rückst, finde ich angesichts der Zielsetzungen des Projektes vollkommen grotesk. Hast du das hier mal nachgelesen:


    Quelle: https://witness.org/about/


    Mir ging es nicht darum, das Witness-Projekt als solches zu kritisieren, aber aufzuzeigen, dass es ein schmaler Grat ist zwischen der einen Kamera, die Unrecht dokumentieren hilft, und den vielen Kameras, die schon heute mit dieser Begründung in unseren Städten montiert werden und schleichend den Weg in eine Überwachungsgesellschaft ebnen.


    Denn das Versprechen bzw. die Hoffnung ("Dort wo Kameras alles beobachten und festhalten, gibt es kein Verbrechen mehr, oder die Verbrecher können zumindest schnell identifiziert und bestraft werden") gewisser Politiker unterscheidet sich nicht sonderlich von Gabriels Ansatz.


    Ansonsten sollte sich Gabriel lieber um sein neues Album kümmern. Denn darauf warten die Fans schon voller Ungeduld. Und um das zu erraten, braucht es wahrlich keinen Gehirnscanner...

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