Die Politik ist tot, es lebe die Politik! - kleiner politischer Frühschoppen, Live-Ticker, Austicker und was man sonst noch so zur Meinungsbildung braucht - oder auch nicht...

Zitat von Herma

Dir fallen Gründe ein Flüchtlinge aufzunehmen und wir sollen uns überlegen, welche das sind?

Also gut:
- weil wir reichlich Platz haben
- weil ich selbst nicht gerne in einem fremden Land unter unwürdigen Bedingungen leben würde
- weil wir schon seit 10 Jahren "Fremde" (Studenten, auch aus dem Ausland) bei uns wohnen lassen
- weil es unser Leben bereichert
- weil mich andere Kulturen interessieren
- weil wir auf diese Weise mit Menschen zusammen kommen, die wir sonst niemals kennen lernen würden
- weil wir nur positive Erfahrungen gemacht haben
- weil wir keine Generalangst vor unbekannten Menschen haben
- weil viele andere Deutsche nicht diese Möglichkeit haben
- weil ich bereits beruflich mehrere Flüchtlinge betreut habe
- weil ....

Ich merke gerade, dass ich beginne, mich für mein Engagement zu rechtfertigen.

Zitat von Herma

Erschreckend finde ich jedoch, dass ich mich gerade für die Unverletzlichkeit der Wohnung rechtfertigte.

Musst Du nicht. Sollst Du nicht. Du bist Du und ich bin ich. (Wahrscheinlich denken wir jetzt beide: zum Glück! :cool:)

In der Tat. Doch um dem Weltfriedenseierkuchen entgegen zu hecheln: Es kam mir verallgemeinernd vor, deshalb mein Kommentar. Ja ja, so ist das.

Zitat von Herma

In der Tat. Doch um dem Weltfriedenseierkuchen entgegen zu hecheln: Es kam mir verallgemeinernd vor, deshalb mein Kommentar. Ja ja, so ist das.

Alles gut.

Zitat von mutzelkönig

Es ist inakzeptabel, wenn ein Land sagt, es möchte keine Muslime aufnehmen. Richtig! Aber dann muss es auch inakzeptabel sein, wenn ein Flüchtling sagt: Ich möchte aber nicht in Land A oder Land B.

Die Logik hinter diesem Gedanken entgeht mir irgendwie. Wenn man also sagt "Ey, Ungarn, es ist inakzeptabel, wenn Du keine Muslime aufnehmen möchtest!", dann MUSS es inakzeptabel sein, wenn jemand "Öhm... ich will aber nicht nach Ungarn." sagt?

Ich weiß, ich weiß, ich spalte wieder Kümmel. Aber vielleicht trotzdem noch zwei Gedanken:

1) Der Umgang mit Flüchtlingen, die nicht mehr vor sondern schon hinter der Tür stehen, wird kontroverser diskutiert als die weihnachtlichen Ich-bin-ja-so-hilfsbereit-Spenden für Flut-, Erdbeben- oder Atomreaktorunfallopfer.

2) Man stelle sich vor, die USA hätten schon im 19. Jahrhundert angefangen, "Wirtschaftsflüchtlinge" zurück nach Europa zu schicken.

Aprilfrost, das ist sehr schön und berührend und da ich selbst schon mal an Deiner Übernachtungs-Gastfreundschaft teilhaben durfte, freue ich mich besonders innig für alle bei Euch landen-werdenden Menschen! Ich selbst bin mit fremden Menschen im Haus aufgewachsen und liebe Trubel. Allerdings hab ich Euch beide geliket, also Herma auch: Im Bekanntenkreis akzeptiere ich etliche mir liebe Menschen, die generell keine anderen Menschen bei sich zuhause ertragen. Einige haben halt einen größeren Don't touch-Radius.
Momentan zeichnet sich wieder einmal eine ungute political-correctness-Überdrehung ab, deshalb find eich Herma mutig und authentisch, wenn er sein Distanzbedürfnis zugibt.

Es ist wirklich das Größte, ein unglaublicher Akt von Selbstüberwindung, wenn Menschen, die das Beherbergen nicht gewohnt sind und sogar ein wenig fremdeln, wenn die jemanden bei sich aufnehmen. Richtig, es stimmt, in vielen gutbürgerlichen Ortsteilen ist leider unglaublich viel Platz unbewohnt. Oft bei älteren Ömchen mit panischer Angst vor Fremden (schon der aus dem nächsten Dorf ist eine Gefahr). Ob man diesen Freiraum auch wirklich frei bekommt, wird davon abhängen, dass wir "anders Sozialisierten" mit positiven Beispielen vorangehen, mit sehr viel Sanftheit, liebevoller Hilfestellung und Geduld eine Verhaltensänderung vormachen können und so die Angst vermindern helfen. Erstaunlich, dass sogar der Papst um private Aufnahme bittet und sie vorlebt.

Druck und böswortige Argumentation wird bei Angstmenschen mit grundsätzlich negativer Haltung allzu leicht die Schotten dicht machen und Schutzschilde hochfahren.

Heute vormittag konnten wir gemeinsam die Bundestagsdebatte verfolgen. Kommt keine Hoffnung auf. Richtig ist, dass die Ungarn-Entscheidung alternativlos war - Humanität geht vor Prinzipien-Dickkopf. Aber nun, was nun? CSU und auch die Kanzlerin (die im übrigen uns schnell mal nebenbei TTIP schmackhaft unterjubeln wollte) verlieren sich in Allgemeinplätzen. Für die unmittelbare Zukunft keine konkreten Ideen. Alte Rezepte von vorgestern, die in der Praxis unsinnig sind.

Ungelöstes Problem bleibt: Solange wir immer noch kein praktikables Einwanderungsgesetz mit klaren Integrations-Regelungen (Frauenrechte, Menschenrechte, Verfassung) haben, werden alle Migranten Asyl beantragen und unnötig die falschen Behörden belasten.

Gestern kamen Flüchtlinge in unserem Ort an und wurden sehr schön empfangen. Ich bin froh und sehr berührt, wie schnell und effektiv die Einwohner Deutschlands - an der Politik vorbei - in den letzten Wochen die Stimmung gedreht haben und gemeinsam tätig wurden. Hoffentlich halten alle durch.

Die Ersthilfe ist nach wie vor aus Ehrenamtlern und Freiwilligen organisiert und insofern stimmt zumindest das von mutzel herbeigerufene Zitat: Der Staat auf Bundesebene kann sich mit seiner Behördenverzögerei wunderbar auf den Freiwilligen ausruhen.

Unterm Strich habe ich trotz allem sehr viel Hoffnung, für uns, für die Flüchtlinge, für die Zukunft. Wir werden die Fehler von 1945 und von 1989 nicht wiederholen.
Niemand wird gezwungen, etwas beizutragen, aber viele werden sich selbst besser fühlen, wenn sie es tun, und sei es, den Wintermantel zu teilen. Die Summe machts dann.